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Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung.
Meyer, D.; Hilpert, W. & Lindmeier, B. (2020) (Hrsg.).

Im November 2020 ist der Sammelband „Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung“ (herausgegeben von Dorothee Meyer, Wolfram Hilpert und Bettina Lindmeier) erschienen, in dessen Zentrum die Frage steht, was getan werden kann, „damit politische Bildung auch Menschen erreicht, die von politischen Bildungsangeboten, so wie sie in der Mehrzahl der Fälle gestaltet sind, nicht angesprochen werden“ (Umschlagtext).Zielgruppen des Buchs sind Menschen in Ausbildung oder Studium, Lehrende an Schulen, Hochschulen und in Einrichtungen der außerschulischen Bildung. Der Band soll den Leserinnen und Lesern Grundwissen über politische Bildung und über Inklusion vermitteln; er soll darin unterstützen, politische Bildungsprozesse für Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen bzw. für bestimmte Gruppen, „die nachweislich der Ausschluss von politischen Bildungsprozessen besonders betrifft“ (S. 15), zu initiieren sowie von Ausschluss bedrohte oder marginalisierte Menschen „durch Empowerment in die Lage zu versetzen, ihre Belange und Interessen zu vertreten und zu gestalten“ (S. 9).

Der Ansatz des insgesamt 20 Beiträge umfassenden Bands ist – wie es die Themenstellung erfordert – interdisziplinär angelegt und bezieht sich dabei maßgeblich auf die (im Anschluss an Christian Lindmeier sogenannte) Fachdisziplin „Pädagogik bei Nicht/Behinderung“ und die Politikdidaktik.

In Teil 1 des Bands werden Begriffe ausführlich erläutert, die für inklusive Bildung und inklusive politische Bildung von grundlegender Bedeutung sind (u.a. Inklusion, Empowerment, Selbstbestimmung, Teilhabe, Differenz und Behinderung bzw. doing difference und undoing difference).

Teil 2 des Bands ist didaktischen Grundlagen und Fragen inklusiver politischer Bildung gewidmet (Didaktik der politischen und inklusiven politischen Bildung, Didaktik der inklusiven Schulbildung, Didaktik der inklusiven Jugend- und Erwachsenenbildung, Arbeiten in inklusiven Gruppen).

Perspektiven von Selbstvertreterinnen und Selbstvertretern werden „als Anregung zur Zielentwicklung inklusiver politischer Bildungsprozesse“ (S. 16) in Teil 3 dargelegt.

Schließlich stehen in den Teilen 4 und 5 Beispiele aus der inklusiven Praxis der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung sowie der (inklusiven) Praxis der politischen Bildung an Schulen im Mittelpunkt.

Der Sammelband erfüllt den selbstgesetzten Anspruch, seiner Leserschaft Grundwissen über politische Bildung und über Inklusion zu vermitteln. Er hilft, die drängenden Fragen weiter zu klären, wie politische Bildungsprozesse für alle initiiert und unterstützt werden können. Die einzelnen Teile des Bands bauen dabei konzeptionell stimmig aufeinander auf. Wie den gesamten Band, zeichnet insbesondere den diesen fundierenden Teil 1 eine umsichtige und sorgsame Reflexion von Begrifflichkeiten und deren (Nicht-)Gebrauch aus (z.B. im Hinblick auf bestimmte Gruppen, die begrifflich adressiert werden).

Mit dem mehr als 40-seitigen Aufsatz von Markus Gloe und Tonio Oeftering enthält Teil 2 den längsten Beitrag des Bands. Es werden darin Grundlagen der politischen Bildung und der Politikdidaktik „unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Inklusion“ (Gloe & Oeftering, S. 15) aufbereitet. Prägende Debatten und Entwicklungen in der Politikdidaktik der letzten Jahre werden ebenso pointiert nachgezeichnet wie in für inklusive Settings der politischen Bildung wichtige Prinzipien, Konzepte und Aspekte (z.B. Exemplarität, Schüler- bzw. Adressatenorientierung, sprachsensibler Unterricht, Leichte/Leichte/einfache/Einfache Sprache, Entwicklung inklusiver Curricula) eingeführt.

Beispielhaft hervorzuheben sind in Teil 2 weiterhin die Ausführungen des Autorentrios Christoph Ratz, Jan Markus Stegkemper und Manuell Ullrich, die betonen, dass sich mit Blick auf Inklusion im Feld der Schule sowie auf einzelne Heterogenitätsdimensionen „nicht nur alle betreffende, sondern immer auch spezifische Fragen“ (Ratz, Stegkemper & Ullrich, S. 135) ergeben, die es in hinreichender Differenziertheit zu klären gilt. Die Autoren beobachten, dass der Schülerschaft mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung besonders schnell droht, außen vor gelassen zu werden – entsprechend setzen die Autoren vornehmlich Kompetenzen und Zugänge von Schülerinnen und Schülern mit diesem Schwerpunkt in den Mittelpunkt. Auch die sehr große Heterogenität innerhalb dieses Schwerpunkts thematisieren die Autoren dabei.

Aufschlussreich erscheinen überdies die in Teil 3 (und damit im Zentrum) des Bands positionierten Interviews mit Menschen, die als Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter perspektiviert werden, die „sich einmischen und mitgestalten“ (S. 193). Über die Aussagen von Andreas Finken, Florentine Schröter und Melanie Struss erhalten die Leserinnen und Leser Einblicke in die Arbeits- und Lernerfahrungen in einem Büro für Leichte Sprache.

Ebenso beachtenswert sind die Einblicke in die Arbeit einer Bewohnervertreterin (Monika Blaszynski) sowie in die Arbeit im Werkstattrat (ermöglicht durch Kristina Schulz) – so wird im Zusammenhang der Arbeit der Werkstatträte neben anderem ein Bezug auf politische Aspekte ersichtlich, wenn sich die Interviewte etwa mit der Frage befasst, ob Behindertenwerkstätten abgeschafft werden oder erhalten bleiben sollten (Böcker & Schulz, S. 221).

Die Praxisbeispiele in den Teilen 4 und 5 zeichnen sich formal zunächst dadurch aus, dass sowohl die außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung als auch die (inklusive) politische Meyer, D.; Hilpert, W. & Lindmeier, B. (2020) (Hrsg.). Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung ISBN: 978-3-7425-0230-9 64 Seiten 4,50 Euro (Printversion) Als pdf-Datei kostenlos downloadbar unter: https://www.bpb.de/shop/ buecher/schriftenreihe/318487/ grundlagen-und-praxis-inklusiverpolitischer-bildung [29.12.2020] Dorothee Meyer / Wolfram Hilpert / Bettina Lindmeier (Hrsg.) Grundlagen und Praxis inklusiver politischer BildungZeitschrift für Heilpädagogik | 5 2021 269 269 Bildung an Schulen zum Thema werden.

In Bezug auf letztere wird der Blick nicht allein, wie man es vielleicht erwarten könnte, auf inklusive Settings jenseits von Förderschulen verengt – neben den Beiträgen von Jan Eike Thorweger sowie von Julia Eiperle und Mario Riesch mit instruktiven Einblicken in besagte inklusive Settings werden in zwei weiteren Beiträgen (beide Holger Schäfer) demgegenüber auch Erfahrungen der schulkonzeptionellen Verankerung von Schülermitwirkung, politischer Bildung und historischer Bildung an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung einbezogen, die zugleich über sich hinaus auf praktische Möglichkeiten in anderen Settings verweisen.

Etwaige zukünftige Publikationen im Bereich der inklusiven politischen Bildung können in vielfältiger Weise auf diesen mit vielen gelungenen Beiträgen gespickten Band Bezug nehmen. Für die Zukunft gilt es, empirische Ergebnisse abgeschlossener mit aktuell vor dem Abschluss befi ndlichen Forschungsvorhaben im Kontext (inklusiver) politischer Bildung und auch politischer Teilhabe zusammenzuführen. Weiterhin ist z.B., ganz im Sinne des Beitrags von Jan Eike Thorweger im besprochenen Band, an weiteren fachdidaktisch wie auch sonder- bzw. inklusionspädagogisch fundierten Praxisbeispielen und im Blick auf die Vielfalt der außerschulischen wie auch unterrichtlichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten im Bereich der politischen Bildung (z.B. weitere politikdidaktische Prinzipien und Metho den sowie auch Inhaltsfelder, Themen und Kompetenzen betreffend) aufzuzeigen, dass „etablierte fach didaktische Herangehensweisen im Sinne eines inklusiven Politikunterrichts akzentuierbar sind“ (Thorweger, S. 301).

Dem wäre – so sei aus Sicht des Rezensenten ergänzt – der ebenfalls wichtige Fokus auf Entwicklungsmöglichkeiten und bereits realisierte Möglichkeiten im politischen Fach unterricht an Förderschulen im Kontext hier seit einiger Zeit verstärkt artikulierter Ansprüche an Fach orientierung beizugesellen. Fazit: Mit seinen einzelnen, aufeinander abgestimmten Bausteinen und damit ermöglichten reichfältigen Perspektiven kann der Sammelband „Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung“ als gelungener und wichtiger Schritt in der interdisziplinären Auseinandersetzung mit (inklusiver) politischer Bildung betrachtet werden. Im Sinne einer Stärkung von Menschen, die in unserer Gesellschaft von Ausschluss bedroht oder marginalisiert sind, ist ihm eine große Aufmerksamkeit zu wünschen.

Johannes Jöhnck

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