Über das Kerngeschäft der Lehrkraft gibt es viele Publikationen. Das 2019 erschienene „Handbuch Unterrichten an allgemeinbildenden Schulen“, Nachfolger des Grundlagenwerks „Handbuch Unterricht“, nimmt einen Perspektivwechsel vor: Statt Beschreibung eines in Phasen, Einsichten, Ansichten und Elemente zergliederten Phänomens „Unterricht“ wird das Buch durch das Nutzen verschiedener Betrachtungsweisen und Systembezüge dem hoch dynamischen Prozess gerecht, der in deutschen Klassenräumen und Schulgebäuden als „Unterrichten“ wahrzunehmen ist. Damit werden die Autorinnen und Autoren durchgängig dem Anspruch der Herausgeber gerecht, zentrale Problemfelder und Fragestellungen aufzugreifen und Konsequenzen für das Unterrichten exemplarisch aufzuzeigen und dabei internationale Forschung zu berücksichtigen. Herausgegeben von Ewald Kiel, Bardo Herzig, Uwe Maier und Uwe Sandfuchs lässt das Werk lediglich den Wunsch offen, vorhandene Modelle des Unterrichtens nicht nur zu entwickeln, sondern elementar neu zu entwerfen. Die Komplexität des Unterrichtens kann man kaum treffender beschreiben und entwickeln als es die Fülle der Beiträge leistet. Das Buch ist für jede und jeden in Anwärterdienst, Aus-, Fort- oder Weiterbildung Tätige(-n) zu empfehlen, eigentlich für jede Lehrkraft.
In acht umfangreichen Kapiteln, das Werk selbst weist 512 Seiten auf, kommen siebzig renommierte Wissenschaftler und Praktiker zu Wort. Nach dem Vorwort und einer Einführung in die Grundlagen und aktuellen Diskurse rund um das Thema „Unterrichten“, mit einer umfassenden historischen Einordnung reformpädagogischer Ansätze, werden verschiedene institutionelle, personelle und administrative Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens in der allgemeinbildenden Schule in Deutschland betrachtet. Ein sich den sonderpädagogischen Bezügen widmendes Kapitel bezieht auch internationale Vergleiche schulpraktischer und -organisatorischer Aspekte umfangreich und gewinnbringend für die Leserin und den Leser ein. Die professionellen Voraussetzungen der Lehrpersonen und ihre Weiterentwicklungsmöglichkeiten werden unter Berücksichtigung der Einflüsse von Lehrerpersönlichkeit und Vorerfahrung reflektiert.
In weiteren vier Kapiteln geht es um die Angebotsgestaltung, die Nutzungsbedingungen, die Wirkungen und damit um die mit dem Unterrichten verfolgten Ziele sowie die Abläufe von Planung bis Evaluation. Hier werden komplexe Zusammenhänge gut verständlich und prägnant erörtert, die das Unterrichten und damit das Lernen der Schülerinnen und Schüler beeinflussen. Die Autorinnen und Autoren sind dabei von den Herausgebern gebeten worden, sich an den Ausführungen des Angebots-Nutzungs-Modells von Fendt, Helmke u.a. zu orientieren.
Ein Kapitel zur Leistungsdiagnostik ergänzt in fundierter Weise Themen wie Leistungsbewertung sowie Abschluss- und Vergleichsarbeiten und geht damit über den Anspruch seines Titels hinaus. Hier wird das differenzierte Leistungsfeedback für die Schülerin bzw. den Schüler und zugehörige Erziehungsberechtigte erörtert, das Grundlage für das Erreichen eigener Ziele und Bestandteil guter Förderplanung ist. Zum anderen wird die Funktion der Einordnung gezeigter Leistung im Dienste der Platzierung in weiterführenden und anschließenden Schul- und Ausbildungssystemen aufgezeigt. Außerdem wird die politische und kulturelle Dimension von Leistungsmessung im Kontext von Vergleichbarkeit und Ranking erörtert.
Bei dem Handbuch handelt es sich um ein wirkliches Lehrbuch und gutes Nachschlagewerk, ein fundiertes Kompendium und einen sicheren Wegweiser für alle, die aufbrechen mögen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten in Bezug auf gelingendes Unterrichten zu verbessern. Ein sechsseitiges Sachregister ermöglicht dem Lesenden eine rasche Orientierung und schnelle Recherche in dem umfangreichen Werk.
Es bleibt ein Desiderat. Demokratiebildung ist Mitbestimmung und gemeinsame Arbeit in der Schule. Nicht nur im Unterricht, sondern auch beim Unterrichten von morgen. Ein Zu-Wort-Kommen-Lassen der Schüler selbst auf Unterricht oder gar das Erwägen einer direkten Kooperation in Teilen der Unterrichtsplanung und -durchführung, vor allem jedoch auch in der Auswahl der Inhalte vor dem Hintergrund der curricular und schulintern festgelegten Themen und Kompetenzen, hätten das Werk in zukunftsweisender Hinsicht ergänzt.
Dagmar Brunsch
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