Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Benutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu und akzeptieren unsere Datenschutzerklärung.
ICF-basiertes Arbeiten in der inklusiven Schule
Pretis, M., Kopp-Sixt, S. & Mechtl, R. (2019). München: Reinhardt. ISBN: 978-3497028054

Inklusives Lernen im systemischen Kontext benötigt eine genaue Analyse der Lernausgangslage jeder Schülerin und jedes Schülers. ICF als „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (WHO 2005) bietet ein solch ausgefeiltes Diagnoseinstrument mit 1400 Items, das schon in Ländern wie der Schweiz, Österreich, Ungarn und Bulgarien verbindlich eingesetzt wird. In Deutschland hat es im neuen Bundesteilhabegesetz, in der Rentenversicherung und in der Frühförderung Einzug gehalten. Im schulischen Kontext gibt es noch kritische Stimmen.

Im vorliegenden Werk wird das ICF-basierte Arbeiten in sechs Kapiteln umfangreich dargestellt, wobei der Schwerpunkt in den Kapiteln drei und vier, dem Aufbau und der Funktion sowie dem praktischen Einsatz in der Schule liegt. Umrahmt wird der Text von einer Literaturliste, einem Sachregister und weiterführenden Buchempfehlungen.

Im Detail geht es in den ersten zwei Kapiteln um die Einordnung von ICF als Problemlöseinstrument im Rahmen des inklusiven Handelns. Neben einer sozialwissenschaftlich geprägten Begriffsdefinition wird vor allem der Vorteil dieses Klassifizierungssystem als universelle gemeinsame Sprache -aller Fachleute herausgestellt. Fähigkeitsorientiert und mehrperspektivisch mit Blick auf die Umstände und Wirkfaktoren beim Lernen werden auch die Gesundheitsprobleme einbezogen. Durch die passgenauere Erfassung des Hilfebedarfs erhöht sich die Verteilungsgerechtigkeit. Dabei erhält jedes Kind ein persönliches individuelles Fähigkeitsprofil. Erarbeitet wird es im transdisziplinären „Team um das Kind“, das unter Beteiligung der Eltern mit übergreifenden Partizipationszielen gemeinsam plant.

In der Darstellung von Aufbau und Funktion der ICF werden in Kapitel 3 unter ganzheitlicher Sicht die „großen Sechs“ als Grundstruktur detailliert und praxisbezogen vorgestellt. Diese Erweiterung des -diagnostischen Blicks unter Einbeziehung u.a. der Körper- und Umweltfaktoren sowie der -Partizipation, die nochmals in neun Bereiche untergliedert ist, dient der Herausstellung der einmaligen Individualität des Kinds. Erweitert wird die Analyse durch ein Kodierungs- und Bewertungssystem nach WHO-Beurteilungsmerkmalen. Ressourcenbezogen sollen zukünftig Dienstleistungsstunden aus dem System abgeleitet werden.

Kapitel 4 umfasst den praktischen Einsatz der ICF in der Schule. Dabei werden Strukturvorschläge für ein multiprofessionell erstelltes Gutachten unterbreitet, in dem Förderfaktoren und Barrieren sowie Stärken und Interessen verankert sind. Im Unterricht, dargestellt an der konduktiven Pädagogik in Ungarn, wird individualisiert und bedarfsbezogen mit individuellen Lernzeiten, altersentsprechenden Freiarbeitsmaterialien und Portfoliomappen im Rahmen von handlungsbezogenen Projekten gearbeitet. In der Darstellung der ganzheitlichen Förderplanung werden Bedarfsanalyse, Zielformulierung und Qualitätskontrolle durch Evaluation in Phasen konkretisiert. Mit Blick auf die Umsetzung in Österreich und in der Schweiz wird die Implementierung der ICF in der Schule als Experimentierfeld deutlich.

In den abschließenden Kapiteln 5 und 6 wird noch einmal der Mehrwert von ICF durch das gemeinsam entwickelte Verständnis auf der Grundlage der gemeinsamen Sprache im multiprofessionellen Team deutlich. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Brückenfunktion gegenüber den Eltern, der Transition und dem Bezug zu den Lehrplänen. Praxisbezogene Hinweise zur Anwendung der ICF im Rahmen einer gezielten Strategieentwicklung und der Nutzung von -Trainings beschließen die Ausführungen.

Insgesamt stellt sich die ICF als ein internationales, inklusives, ganzheitliches und passgenau individualisiertes Klassifikationsmodell vor, fähigkeitsorientiert und entstigmatisierend, das -jedoch aufgrund seiner hohen Differenziertheit in der Anwendung eine umfassende Schulung aller Beteiligten erfordert.

Cornelia Winkler

zurück