Die vorliegende Langzeitstudie geht auf einen Auftrag der Hamburgischen Bürgerschaft zur Evaluation der flächendeckenden Einführung inklusiver Bildung an den Hamburger Schulen im Schuljahr 2012/13 zurück. Ziel war es, empirische Erkenntnisse über die Wirksamkeit, Auswirkungen und Ergebnisse inklusiven Unterrichts zu gewinnen sowie Erfolge und Entwicklungsfelder auf dem bisherigen Weg der inklusiven Bildung zu identifizieren, der weitreichende Veränderungen brachte: „Hamburgs Schulsystem erfindet sich in diesen Jahren neu“ (9) (Ties Rabe, Schulsenator).
Die wissenschaftliche Untersuchung erfolgte in Kooperation der Universität Hamburg, der Hamburger Schulbehörde und des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätssicherung. An der Erhebung beteiligten sich 35 Grund- und 12 Stadtteilschulen sowie drei Regionale Bildungs- und Beratungszentren. Gymnasien waren nicht einbezogen. Bei den sonderpädagogischen Förderbedarfen der Schülerinnen und Schüler dominierten die Bereiche Lernen, Sprache, soziale und emotionale Entwicklung entsprechend der realen Verteilung. Über einen Zeitraum von vier Jahren (bis März 2017) wurden zwei Teilprojekte realisiert. In jedem Hauptkapitel des nun vorgelegten Buchs finden sich dazu differenzierte Analysen, leserfreundliche Zwischenfazits („auf einen Blick“) und Gesamtzusammenfassungen der Projektergebnisse. Zudem liegt ein Online-Anhang mit weiterem Datenmaterial vor.
Teilprojekt 1 (26–228): Quantitative Längsschnittanalysen zur Entwicklung gelingender Bildungsbiographien, messbar an erreichten fachlichen (Leseverstehen, Mathematik) und überfachlichen Kompetenzen (Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenz).
Teilprojekt 2 (229–305): Qualitative Leitfadeninterviews zur Umsetzung und Bewährung der Zielsetzungen (pädagogische Konzepte, Ressourcensteuerung, Unterstützungsstrukturen etc.) durch Einschätzungen der „Akteure im Feld“.
Einzelne Befunde sind inzwischen zwar überholt und Verbesserungen durch Nachsteuerung bereits erzielt. Dieses Vorgehen der sukzessiven Einbeziehung von Erkenntnissen zu Weiterentwicklungsfeldern war von vornherein so geplant. Insgesamt liefert die EiBiSch-Studie eine beeindruckende Fülle anregender, zur Diskussion in bildungspolitischen, erziehungswissenschaftlichen und schulischen Kontexten auffordernder Ergebnisse und wirft viele Fragen zur Weiterentwicklung inklusiver Bildung auf:
- Wie können die Gymnasien, bisher „nahezu unbeteiligt [...] weitgehend inklusionsfreie Räume“ (S.310) stärker an der Aufgabe der Inklusion beteiligt und die Stadtteilschulen vor Überlastung geschützt werden?
- Welche Rahmenbedingungen (vorwiegend bezogen auf die Ressourcenausstattung) sind für gelingende inklusive Bildung unverzichtbar?
- Wie kann der Gefahr der „Exklusion in der Inklusion“ durch die Bündelung von Ressourcen in einzelnen Lerngruppen entgangen werden?
- Wie hoch ist der generelle Nutzen einer Zuordnung zu Förderkategorien?
- Wie lässt sich das „Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma“ vermeiden?
- Wie lassen sich Teamarbeit und Kooperationsstrukturen als zentrale Gelingensbedingung schulischer Inklusion optimieren?
- Wie können integrationsunerfahrene Schulen besser unterstützt werden?
- Wie lassen sich schulinterne und schulübergreifende Fortbildung und Kooperation noch passgenauer zuschneiden?
- Wie können Kinder mit herausforderndem Verhalten noch besser gefördert statt ausgegrenzt werden?
- Wie erreichen mehr Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards der Bildungspläne?
- Wie kommt sonderpädagogische Expertise in inklusiven Settings am besten zur Geltung?
Die EiBisch-Studie belegt eine überwiegende Zustimmung zur inklusiven Bildung an den Schulen. Auch viele weitere positive Ergebnisse sollten zuversichtlich stimmen, dass der eingeschlagene Weg gut und sinnvoll ist. Darüber hinaus werden noch nicht erfüllte Gelingensbedingungen und vielfältige konzeptionelle wie schulpraktische Herausforderungen, die es in der Zukunft zu bewältigen gilt, klar benannt. Deren weitere Bearbeitung bzw. Berücksichtigung bei der Weiterentwicklung inklusiver Bildung könne jedoch, so die Herausgeber, „nicht in kurzen Zeiträumen erwartet werden“ (S. 307). Zu vielen Fragen und Baustellen zeigen die Studienleiter aus ihrer Sicht Handlungsnotwendigkeiten und Weiterentwicklungsbedarfe auf und legen konkrete Optimierungsvorschläge für nächste Schritte vor.
Interessanterweise zeigt sich trotz vergleichbarer Rahmenbedingungen eine „hohe Varianz“ (S. 303) der Umsetzung inklusiver Bildung, d.h. es gibt enorme Unterschiede zwischen Schulen und Klassen. Daher müsse es zukünftig noch besser gelingen, Schulen darin zu unterstützen, in allen Klassen förderliche Lernmilieus für alle Schülerinnen und Schüler zu schaffen und ihre Möglichkeitsräume optimal zur schulischen Kompetenzentwicklung zu nutzen. In der Verbesserung von Unterricht und Kooperation sowie in gezieltem Leitungshandeln scheint ein Schlüssel zur Weiterentwicklung inklusiver Bildung zu liegen.
Zu wünschen ist der Studie, dass sie ungeachtet kontroverser Lesarten und Bewertungen zu insgesamt hilfreichen, konstruktiven Diskussionen und guten Weichenstellungen für die Weiterentwicklung inklusiver Bildung beitragen wird. Entstanden ist hier ein umfangreiches Werk, dessen Strahlkraft weit über die Hamburger Stadtgrenzen hinausreichen dürfte, reflektiert es doch zentrale Momente eines sich stark im Wandel befindlichen Bildungssystems. Die Lektüre der EiBiSch-Studie sei allen Bildungsinteressierten wärmstens empfohlen.
Michael Klein-Landeck
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