Diese als Band 4 der Reihe „Inklusion praktisch“ (hrsg. von Stephan Ellinger und Traugott Böttinger) erschienene Praxishilfe bietet eine Fülle an konkreten Ideen, Hilfen, Impulsen und Anregungen für die Umsetzung einer der „schönsten pädagogischen Visionen überhaupt“ (S. 5), der schulischen Inklusion. Der gewählte Fokus liegt darauf, wie die „gute Leitung“ einer Schule zum Gelingen inklusiver Schulentwicklung beitragen kann. Dabei erheben die Autoren keinerlei Anspruch auf die Präsentation allgemeingültiger Antworten und Patentrezepte. Vielmehr wollen sie Schulleitungen mögliche Handlungsoptionen aufzeigen und Hilfen für die Reflexion des eigenen Denkens und Handelns zur Verfügung stellen.
Ihre Eingangsthese lautet: Die Leitung einer inklusiven Schule ist zuallererst Schulleitung, wenn auch mit erweitertem und komplexerem Aufgabenspektrum. Eine inklusive Schule zu leiten, bedeute demnach, „eine Schule zu leiten“ (9). Auch unterscheide sich inklusive Schulentwicklung nicht grundsätzlich von anderen Schulentwicklungsprozessen. Dies vorausgeschickt, stellt das Autorenteam theoretisch und empirisch fundierte Bedingungen für erfolgreiches Schulleitungshandeln vor, das an konkreten Fallbeispielen anschaulich auf inklusive Schulpraxis übertragen wird. So werden vielfältige Möglichkeiten aufgezeigt, wie Schulleitung zielführend mit den Aufgaben und Herausforderungen inklusiver Schulentwicklung umgehen kann.
Das Buch weist eine schlüssige Gliederung auf: Nach allgemeinen Ausführungen über Management, Führungsstile und verfügbares Wissen über „gute Schulleitung“ (Kap. 1) werden Grundzüge eines Führungs-Modells (Kap. 2) nach Lee G. Bolman und Terrence E. Deal (2013) skizziert, das in den folgenden Kapiteln schrittweise entfaltet, vertieft und auf Elemente inklusiver Schulentwicklung bezogen wird: Vier sog. „Rahmen“ zur Kennzeichnung von Führungshandeln werden zunächst zu Analysezwecken unterschieden, um im abschließenden Kapitel 7 wieder zusammengeführt zu werden. Die Kernelemente des Vier-Rahmen-Modells sind Struktureller Rahmen (Kap. 3), Human-Resource-Rahmen (Kap. 4), Politischer Rahmen (Kap. 5) und Symbolischer Rahmen (Kap. 6).
Entscheidend für erfolgreiches Schulleitungshandeln sei jedoch die virtuose und zielführende Nutzung eines möglichst breiten Handlungsrepertoires, damit Schulleitung in allen vier Rahmen situationsadäquat agieren könne. Denn komplexe Organisationen wie Schule und anspruchsvolle Entwicklungsprozesse erfordern, so die Autoren, vielfältige Betrachtungs- und Handlungsweisen sowie die Befähigung zum Perspektivwechsel. In Kap. 3-6 werden theoretische Grundlagen und zentrale Konzepte sowie das entsprechende Bild von Leadership und ihren Aufgaben aus Sicht des jeweiligen Rahmens verständlich und kompakt vermittelt. So wird eine gute Orientierung gewährleistet. Übertragen auf die Entwicklung schulischer Inklusion geht es dann um sehr konkrete Themen wie Ressourcensteuerung, multiprofessionelle Teams, Förderplanarbeit und Förderkoordination, sodass ein hilfreicher Praxisbezug gesichert ist.
Das umfangreichste Kapitel 3 befasst sich mit dem Strukturellen Rahmen. Stabile Strukturen, geregelte Abläufe, transparente Kommunikation, funktionale Informationswege etc. werden hier als Grundpfeiler eines effizienten Managements auch in Bezug auf Inklusion gekennzeichnet. Dieser Rahmen stellt aus Sicht der Autoren die entscheidende Basis dafür dar, „dass inklusive Schulentwicklung beginnen kann“ (87). Zweifelsohne hängt deren Gelingen in hohem Maße von den Steuerungskompetenzen der Schulleitung ab, so dass diesem Kapitel zu Recht ein zentraler Stellenwert zukommt. Doch würde sich mancher Leser sicher noch mehr Impulse und Anregungen wünschen, wie sich Visionen vermitteln, schulische Akteure noch besser „mitnehmen“ und für das Anliegen der Inklusion begeistern und ermutigen lassen. Ist es doch kein Geheimnis, wie entscheidend Haltung und Einstellung der Menschen für das Gelingen schulischer Inklusion sind …
In Kapitel 7 wird als „Kernpunkt“ des Modells das „Reframing als Weg, mit der Mehrdeutigkeit von Situationen umzugehen und Führung auf die Situation/Organisation zuzuschneiden“ (S. 131) thematisiert. Konträre Einstellungen zur Inklusion wie Innovationsbereitschaft, Willen und Engagement auf der einen, sowie Überforderung, Skepsis und Vermeidung auf der anderen Seite lassen, so die Autoren, eine komplexe Gemengelage entstehen, die durch das Betrachten einer Situation durch nur einen Rahmen nicht zu lösen ist. Reframing-Kompetenz als die Fähigkeit von Schulleitung, jede Situation durch verschiedene Rahmen betrachten zu können (Flexibler Wechsel der Sichtweisen) sei auch im Kontext inklusiver Schulentwicklung unverzichtbar. Somit lasse sich „nur mit dem vollen Repertoire möglicher Handlungsweisen … der ‚Herausforderung‘ Inklusion begegnen“ (S. 133).
In einer tabellarischen Übersicht übertragen Scheer & Laubenstein (S.134ff.) abschließend sehr systematisch an ausgewählten Beispielen das Vier-Rahmen-Modell auf zentrale Herausforderungen der inklusiven Schulentwicklung und betrachten diese jeweils aus der Sicht der verschiedenen Rahmen. So wird erkennbar, wie weit der Blick von Schulleitung auf die anstehenden Herausforderungen und Aufgaben sein muss.
Die leserfreundliche Gestaltung sollte nicht unerwähnt bleiben. Das gefällige Layout, Hervorhebungen durch Fettdruck und blauen Hintergrund, prägnante Zusammenfassungen und kritische Diskussionen am Kapitelende, Definitions- und Infokästen, nützliche Kopiervorlagen und Selbstreflexionsbögen, die Wiedergabe informativer Interviews mit Schulleitungen, Lesehinweise und Links, ansprechende Abbildungen und überschaubare Tabellen erhöhen Verständlichkeit, Lesefluss und insgesamt den Gewinn für die Leserinnen und Leser. So muss eine echte „Arbeitshilfe“ aussehen!
Insgesamt macht das Buch sehr deutlich, dass Schulleitung eine Schlüsselrolle im Schulentwicklungsprozess zukommt. Da Schulleitungshandeln in Bezug auf inklusive Schulentwicklung aber noch wenig erforscht ist, lassen sich keine konkreten Handlungsanweisungen geben. Hinweise auf ideales Leitungsverhalten oder optimale Führungsstrategien wird man daher vergeblich suchen. Die allgemeinen Empfehlungen der Autoren zu erfolgversprechenden Handlungsoptionen, Aufmerksamkeitsbereichen und Kerntechniken stellen jedoch eine wahre Fundgrube an Anregungen dar. Das Buch ist zwar als „Arbeitshilfe für Schulleitungen“ konzipiert, kann aber auch von anderen an inklusiver Schulentwicklung interessierten und aktiv engagierten Menschen mit Gewinn gelesen werden und sei ihnen nachdrücklich empfohlen.
Michael Klein-Landeck
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