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Schüler mit schwerer und mehrfacher Behinderung im inklusiven Unterricht
Claudia Omonsky (2017)

Der Titel macht (mich) neugierig, die ganze Reihe Inklusiver Unterricht kompakt des Reinhardt Verlages scheint dringend notwendig – Handreichungen erst recht. Grundlegend Pädagogisches und Politisches scheint genug gesagt und geschrieben im Jahr 2017 – also: hohe Erwartungen liegen vor.

Claudia Omonsky legt ein Heft vor mit 64 Textseiten, didaktisch und lesefreundlich gegliedert in knappe Kapitel. Die Themen sind Personenkreis und Menschenbild, Zusammenarbeit und Kooperation, Alltagssituationen und Pflege, Kommunikation, Unterricht und Förderung. Jedes dieser Kapitel ist in weitere Unterkapitel aufgeteilt, besonders differenziert sich der Teil unter der Überschrift Unterricht und Förderung. Literatur und Sachregister schließen sich an. Die Seiten sind klar strukturiert, es gibt Lesehilfen und Hinweise am Rand. Knappe, einführende Zusammenfassungen stehen vor jedem neuen Abschnitt und bereiten den Leser auf die nächsten Seiten vor. Man merkt, dass Verlag und Autorin großen Wert auf gute Lesbarkeit und schnelle Informationsaufnahme legen. Die pädagogischen Hinweise, prägnant in Listen zusammengefasst, sind klar formuliert und zeugen von Erfahrung, insbesondere mit Schulkollegien und interdisziplinären Teams. Alltagsprobleme finden ebenso Beachtung wie ganz spezielle Fragen, die so nur im Zusammenhang mit sehr schwer behinderten Schülern und Schülerinnen auftauchen. Besonders eindrücklich sind die Anregungen zur Zusammenarbeit mit den Eltern. Hier wird deutlich, dass die Inklusionsarbeit mehr als das Übliche verlangt, wenn man mit Eltern sehr schwer behinderter Mädchen und Jungen erfolgreich zusammen arbeiten will.

Eine schulische Inklusion schwer behinderter Kinder wird vor dem Hintergrund der Grundschule vorsichtig skizziert. Allerdings möchte sich die Autorin nicht so richtig festlegen, wen sie eigentlich meint, wenn sie von schwer- oder mehrfachbehinderten Kindern schreibt. Zwar diskutiert sie auf einer „Metaebene“ in der gebotenen Kürze einer Handreichung schwere Behinderung und Mehrfachbehinderung, erwähnt die Komplexität der Auswirkungen vor dem Hintergrund der ICF - aber um wen es wirklich geht, das wird nicht deutlich.

Sind vor allem Kinder gemeint, die mit einer sehr schweren kognitiven Einschränkung leben? Kinder mit multiplen körperlichen Störungen und Einschränkungen? Kinder mit drastisch begrenzter Lebenserwartung? Kinder, die nur beatmet leben können? Kinder nach psychisch und physisch schwerst traumatisierenden Unfällen oder Gewalteinwirkungen?

Die Personengruppe der sehr schwer behinderten Kinder hat sich in den letzten zwanzig Jahren ganz erheblich verändert. Manche Krankheiten und Komplikationen hat die Medizin heute im Griff, neue sind hinzu gekommen, Intensivkinder überleben auch außerhalb der Krankenhäuser, Mädchen und Jungen im Wachkoma haben eine immer längere Lebenserwartung. Muss man vermuten, dass diese alle gar nicht gemeint sind?

Die Handreichung bringt viele gute und nützliche, praktikable und bewährte Hinweise. Insofern kann man der Autorin und dem Verlag gratulieren. Eine so knappe Darstellung ist z.Z. auf dem Markt nicht zu haben, man muss bislang den zu lesenden Bücherstapel ein wenig höher ansetzen. Aber wenn man wirklich nicht nur etwas über diese Kinder kursorisch erfahren möchte, sondern sich handlungsfähig machen möchte oder muss, dann muss man in jedem Fall mehr und intensiver lesen. Ja, es fragt sich, ob man sich dieses Wissen allein durch Lesen aneignen kann. Aber vielleicht ist die Handreichung so ja gar nicht gedacht?

Das Literaturverzeichnis umfasst gut fünfzig Titel, ein Erscheinungszeitraum von ca. 50 Jahren wird abgebildet. Die Handreichung empfiehlt Omonsky, Claudia (2017). Titel als Vertiefungsliteratur, die sich auch im Gesamtverzeichnis finden. Unterrichts- und Förderbeispiele bewegen sich im bewährten Rahmen. Der gemeinsame Unterrichtsgegenstand findet sich ebenso wie die therapeutisch orientierte Einzelförderung, Gemeinsamkeit am ehesten im Morgenkreis und in musischen Aktivitäten. Hier sind keine Neuerungen grundsätzlicher Art in Sicht. Da mich das Leben sehr schwer beeinträchtigter Menschen seit Jahrzehnten beschäftigt, erlaube ich mir noch ein paar Verbesserungsvorschläge zu machen - man möge mir verzeihen: Der Begriff Lagerung ist obsolet, d.h. das Wort ist veraltet, sollte so nicht mehr verwendet werden. Material kann man lagern, Menschen nicht. Positionierung wird als die angemessene Bezeichnung angesehen. Das ließe sich ja bei einer zweiten Auflage leicht ändern. Auf S. 36 taucht der Begriff leichte Sprache auf. Dieser Begriff ist mittlerweile klar definiert und zu einem Markenzeichen geworden. In der im Buch gemeinten Bedeutung deckt er sich nicht mit der offiziellen Bedeutung. Die Autorin meint offenbar einfache Sprache. Und noch ein Wunsch, der betrifft die Bavarica, d.h. die Formulierungen, die man nur in Bayern auf Anhieb richtig verstehen kann. Manches an genannten Institutionen, an Verfahrensabläufen, an der inklusiven Beschulung von Kindern mit einem besonders hohen Förderbedarf unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland erheblich. Die Handreichung ist deutlich bayerisch geprägt, das ist dann vielleicht doch etwas zu viel Regionalität. Diese Kriterien führen zu einer zusammenfassenden Einschätzung: Hier liegt eine klar geschriebene erste Einführung in die komplexe Fragestellung vor, die naturgemäß angesichts der knappen Seitenzahl zügig zu lesen ist, aber andererseits viele Detailfragen offen lassen muss. Zum Einstieg ist sie zu empfehlen, trotz des recht stattlichen Preises.

Andreas Fröhlich

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