Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Benutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu und akzeptieren unsere Datenschutzerklärung.
Schulische Prävention im Bereich Verhalten
Thomas Hennemann, Dennis Hövel, Gino casale, Tobias Hagen, Klaus Fitting-Dahlmann (2015)

Thomas Hennemann, Dennis Hövel, Gino Casale, Tobias Hagen und Klaus Fitting-Dahlmann haben ein hoch informatives Buch geschrieben. Sie bearbeiten das Thema Prävention im Bereich Verhalten bzw. von Gefühls- und Verhaltensstörungen auf der Basis von empirisch abgesicherten Erkenntnissen, insbesondere der Entwicklungspsychologie sowie der Theorie der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung (SKI). Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Nach einer kurzen Einleitung, in der die Bedeutung von Prävention im Bereich Verhalten herausgearbeitet wird, geht es im ersten Kapitel um die Entwicklung von emotionalen und sozialen Kompetenzen im Kindes- und Jugendalter sowie um die Entstehung von Gefühls- und Verhaltensstörungen. Gut verständlich, komprimiert aber dennoch differenziert, werden begriffliche und theoretische Grundlagen emotionaler und sozialer Kompetenzentwicklung erläutert, Phasen der emotionalen Entwicklung und Emotionsregulierung in ihrer Bedeutung für die sozial-kognitive Informationsverarbeitung und das soziale Verhalten von Kindern und Jugendlichen dargestellt. Damit werden Ansatzpunkte zur Erklärung von sozialen Fehlanpassungen und zur Förderung der emotional-sozialen Entwicklung und des Verhaltens geboten. Vor dem Hintergrund einer differenzierten Darstellung des Modells der SKI werden Schwerpunkte der präventiven emotional-sozialen Förderung bestimmt: die Differenzierung der sozialen Wahrnehmung, Emotionen bewusst machen und den Umgang mit ihnen üben, die Erweiterung des Repertoires emotionaler Steuerung, Zielklärung und Handlungsalternativen in sozial schwierigen Situationen, Handlungsmöglichkeiten bewerten und deren Umsetzung einüben.

Der Fokus des zweiten Kapitels liegt auf grundlegenden Erkenntnissen über präventives pädagogisches Handeln. Nach einer begrifflichen Klärung von psychologischer und pädagogischer Prävention geht es den Autoren zunächst um die Klassifikation präventiver Maßnahmen. Hierzu verwenden sie das Begriffssystem von Gordon (universelle, selektive und indizierte Prävention) und unterscheiden zwischen kind- und umweltzentrierten sowie multimodalen Ansätzen. Zudem liefern sie ein empirisch begründetes Set an Indikatoren, die prognostische Hinweise auf die Wirksamkeit präventiver Förderung bieten. Hierzu gehören z. B. eine empirisch abgesicherte theoretische Fundierung, eine klare Zielformulierung, sorgfältige Instruktionen zur Durchführung, die Adaption der Maßnahme an individuelle Ausgangslagen und der Transfer in den Alltag, die Reflexion der Theorie durch die Pädagogen und Pädagoginnen sowie eine begleitende Evaluation. Anhand der Ergebnisse von Metaanalysen wird deutlich, dass insbesondere zur selektiven und indizierten Prävention eine Reihe von wirksamen Förderansätzen und Programmen vorliegen, aber Probleme der Implementation und Nachhaltigkeit noch nicht befriedigend gelöst sind. Um dem Leser die kritische Auswahl von präventiven Maßnahmen zu erleichtern, erläutern die Autoren gut verständlich das Konzept der Evidenzbasierung von Pädagogik. Im dritten Kapitel geht es um konzeptionelle Aspekte einer präventiven Schule. Engagiert wird anhand von curricularen und bildungstheoretischen Überlegungen ein Leitbild einer präventiv ausgerichteten Schule begründet. Als Arbeitsmodelle dienen die Konzepte von Opp und Puhr (2003) zur fürsorglichen Schule, das Gewaltpräventionskonzept von Dan Olweus (2008), sich daran anschließende weiterreichende Überlegungen zu einer Mehrebenenprävention auf individueller, Klassen-, Schul- und Systemebene sowie der amerikanische Response to Intervention-Ansatz. Diese Konzepte werden praxisnah dargestellt. Innerhalb der Erläuterungen zu präventiv ausgerichteten Handlungsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen finden sich eine Vielzahl an konkreten Vorschlägen beispielsweise zum Classroom Management, aber auch zur Struktur der Gesamtheit aller präventiven pädagogischen Handlungen an einer Schule. Hierbei überzeugt neben dem Olweus-Programm vor allem als zukunftsweisendes Modell der Response to Intervention-Ansatz mit seinen an Intensität und Spezifität zunehmenden Förderstufen bzw. -ebenen: Förderung im regulären Klassenunterricht, Kleingruppenintervention mit Risikokindern und Einzelförderung mit Hoch-Risikokindern.

Ein zentrales Element des Buchs ist das vierte Kapitel, in dem die Autoren umfassend und dennoch übersichtlich über sämtliche im deutschsprachigen Raum zugänglichen, empirisch gut fundierten Präventionsprogramme im Bereich Verhalten informieren. Die in den vorherigen Kapiteln begründeten Indikatoren für eine wirksame präventive Förderung dienen hier der systematischen Auswahl und Darstellung der Programme. Die Darstellung ist nach Altersbereichen gegliedert, übersichtliche Tabellen unterstützen die Sichtung und den Vergleich der Programme, Texte zu jedem Programm liefern Basisinformationen über den jeweils zugrunde liegenden Ansatz, Trainingsziele und -methoden sowie Ergebnisse zur Wirksamkeit.

Das Buch schließt mit einem Plädoyer für eine präventive Schule als Basis für eine inklusive Schule (Kapitel 5), indem die bisher referierten Inhalte in den Kontext Inklusion eingeordnet werden. Hierbei betonen die Autoren die Notwendigkeit der Qualifizierung von Lehrkräften an allgemeinen Schulen und von sonderpädagogischen Fachkräften gemäß der besonderen Förderbedarfe von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen. Das folgende Zitat umreißt den Tenor des fünften Kapitel, evtl. des ganzen Buches: „Inklusion braucht Prävention, dann kann und wird sie gelingen“ (S. 161).
Hennemann, Hövel, Casale, Hagen und Fitting-Dahlmann referieren in ihrem Buch die wesentlichsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Gestaltung von schulischer Prävention im Bereich Verhalten. Die Inhalte wurden nachvollziehbar anhand von empirischen Evidenzen ausgewählt, systematisch und gut verständlich dargestellt. An einigen Stellen wünscht man sich als Leser weiterreichende Erläuterungen, was nicht gegen das Buch spricht, denn es leistet in dem gewählten Format ein Höchstmaß an wissenschaftlich fundiertem Informations-Input. Die Schrift weist nach, dass schulische Prävention im Bereich Verhalten mittlerweile ein auch im deutschen Sprachraum fachlich gut fundierter Bereich innerhalb einer inklusionsorientierten Schulpädagogik ist. Es ist das Verdienst der Autoren, die aktuellen fachlichen Grundlagen dieses hochrelevanten schulischen Bereichs einer interessierten Leserschaft komprimiert zugänglich zu machen. Das Buch ist der 19. Band der Buchreihe „Fördern lernen“, die von Stephan Ellinger heraus gegeben wird. Zusammen mit fünf weiteren Bänden bildet es dort den thematischen Schwerpunkt „Prävention“, in dem sich weitere Bände auf die „Berufliche Eingliederung“, die „Förderung der Motivation bei Lernstörungen“, „Schulische Prävention im Bereich Lernen“, „Resilienz“ sowie „Hilfen zur Erziehung“ beziehen. Hierauf ist hinzuweisen, da einer der wenigen kritischen Punkte des Buchs darin besteht, dass einige im Kontext von Prävention im Bereich Verhalten relevanten Aspekte etwas zu kurz behandelt werden. So wird z. B. berechtigterweise die Bedeutung der Resilienzforschung oder der Vernetzung von Schule und außerschulischen Hilfen zur Erziehung im Text inhaltlich betont, aber nur relativ kurz erläutert. Dies ist erst verständlich, wenn man sich das Gesamtkonzept der Buchreihe Lernen fördern ansieht, in der diesen Themen eigene Bücher gewidmet sind.

Bodo Hartke

zurück
Information