Gemeinsam mit zwölf Freundinnen und Freunde hat Andreas Fröhlich das hier vorzustellende Buch herausgegeben. Die Herausgeberbezeichnung „Fröhlich und Freunde“ soll wohl andeuten, dass, Andreas Fröhlich hinzugerechnet, 13 Autorinnen und Autoren gleichberechtigt und gleich verpflichtet die Verantwortung für das Werk tragen, die alle als Herausgeber zu nennen wohl doch eine Überforderung wäre. „Freunde“ sind heute im Zeichen des erhobenen Daumens (Facebook) erkenntlich und so stellt sich die Frage, ob wir am Ende der Lektüre auch den Daumen heben können.
Die Thematik ist mit „Bildung – ganz basal“ bereits im Titel umrissen. Es geht in insgesamt 14 Beiträgen um das Nutzbarmachen von Grundintentionen Basaler Stimulation zur Organisation einer basalen Pädagogik und der Vermittlung einer basalen Bildung, ansetzend an Aktivitäten des täglichen Lebens, so Fröhlich in seinem einleitenden Beitrag „Pädagogik – ganz basal“ (5 – 8). Miriam Weisz (9 – 14) arbeitet das Verhältnis von Ich und Du heraus, die Begegnung und die Entfaltung von Persönlichkeit, illustriert durch drei Schwarzweißfotos, was Helga Schlichting mit „Kennenlernen des eigenen Körpers“ (15 – 34) an anschaulichen Beispielen (Schuhe an- und ausziehen, Transfer vom Rollstuhl auf das Therapiebett, Waschen und Zahnpflege) und mit zehn Farbfotos eindrucksvoll und praktisch konkretisiert. Sören Bauersfeld führt diese Überlegungen (35 – 48) weiter in die Bereiche der Bildungsinhalte und des Planungsprozesses. Bildung, so Bauersfeld, ist auch bei schwerer Behinderung möglich, theoretisch begründbar und planbar, wozu er auch tabellarische Übersichten beigibt.
Was Erziehung bei schwerer und mehrfacher Behinderung ist und wie sich unter diesen Umständen Werte vermitteln lassen, diskutiert Lars Mohr (53 – 67) entlang der Gedankengänge von Fröhlich, Brezinka, Praschak und Oelkers und schließt, basale Erziehung und Bildung sei u.a. Förderung der Kooperationsfähigkeit auch über basale Kommunikationskanäle (59). Abschließend erörtert er Verantwortung und Verantwortlichkeit in Zusammenhang mit der Entscheidungsfähigkeit und relativiert diese auf die individuelle Situation des Schwerstbehinderten. Er meint, es sei „grundsätzlich davon auszugehen, dass schwere Behinderung Verantwortlichkeit nicht abstellt, dass jeder Mensch auf seine Weise verantwortlich leben kann“ (64).
Angela Simon (68 – 79) hält „Unterricht in einer heterogenen Lerngruppe“ für „besonders (und) wertvoll“ (so aus der Überschrift ihres Beitrags). An Beispielen stellt sie Möglichkeiten der Beteiligung Schwerstbehinderter an Unterrichtsvorhaben dar, wobei sie sich auch auf christlich-biblische Argumente stützt. Die für die Seiten 72 und 79 angekündigten Abbildungen fehlen leider im Buch. Ein blindes Kind dient Heike Schäfer als Aufhänger für ihre Überlegungen zur Beteiligung (Lehrerseite) und Partizipation (Schülerseite) am Schulgeschehen (80 – 97). Fraglich bleibt, ob nicht äußerungsfähigen Menschen vermeintliche Meinungen zugeschrieben und in der Ich-Form „berichtet“ werden sollten. Zutreffend ist dagegen ihre kritische Diskussion des Werts eines Morgenkreises für nicht sehende Kinder wie über die lebenspraktische und kulturelle Bedeutung von Alltagsgegenständen am Beispiel des Löffels. Konkrete Vorschläge zur Förderung runden diesen Beitrag erfreulich ab.
Mit anspruchsvollen Bildungsinhalten beschäftigt sich Sabine Knoblauch (98 – 120) am Beispiel der Verliebtheit, der Liebe und „Romeo und Julia“ als hierzu passendem Unterrichtsinhalt. Sie geht dabei sehr tief in die Erörterung didaktisch-methodischer Hintergründe und diskutiert die Einsatzmöglichkeiten von Elementarisierung, Basaler Stimulation, Basalem Spielen und Basalem Mitmachtheater, am Beispiel der Elementarisierung mit sehr konkreten Hinweisen zum Vorgehen. Alle vier Konzepte führt sie zu einem Unterricht zusammen, der sehr komplex gestaltet ist. Offen bleibt die Frage der Effekte, aber Knoblauch hält es für entscheidend, „dass die Bildungsinhalte angeboten und dieser Gruppe nicht vorenthalten wurden“ (118). Fünf Farbfotos und eine Grafik reichern den Beitrag illustrierend an.
„Fundament allen Weltwissens sind konkrete Erfahrungen auf deren Basis innere Bilder von der Welt entstehen, die zunächst nicht symbolisch geordnet sind“ (126) – dies ist der Kernsatz des Beitrags von Marion Wieczorek (121 – 129), den sie am Beispiel einer Fahrt „auf der schwäbschen Eisenbahne“ (Teil der Überschrift; S. 121) entfaltet. Wygotskis „Lernen treibt die Entwicklung voran“ umschreibt sie mit dem Satz „Entwicklungsprozesse sind auf Bildungsprozesse angewiesen“ (123) und schließt daraus, dass Entwicklung „keine Vorbedingung für Bildungsprozesse“ (123) darstelle. Von dieser Grundüberzeugung aus entwickelt sie ihre Überlegungen, wie konkrete Erfahrungen zu symbolischen Repräsentationen entwickelt werden können, wobei sie Verständigungsprozesse und Beziehungsverhalten betont. Lilli Pohl fragt „Wer erzieht hier wen?“ (130) und erörtert Wechselwirkungen zwischen Lernenden und Lehrenden (130 – 139). Ausgehend von Belastungen erörtert sie Fragen der Akzeptanz des Behinderten in seinem So-Sein, der Resilienz und der Anforderungen an das Verstehen der Erzieher und Betreuer. In der Zusammenarbeit mit erwachsenen Schwerstbehinderten bestimmt sie deren Aufgabe: „Wir sollten Steine aus dem Weg räumen, zwischen zwei Welten dolmetschen, versuchen, diese Welt verständlich zu machen oder zumindest genießbar, aber es ist nicht unsere Aufgabe, zu erziehen!“ (139). Ein Satz, der nachdenklich stimmen muss.
In den Wald geht es danach mit Andreas Fröhlich (140 – 152). Bildungswert und Bildungsmöglichkeiten, Erlebnismöglichkeiten, den „deutlichen Kontrast zur Alltagserfahrung in gebauten und angepassten Gebäuden“ (145) erörtert er ebenso wie methodische Fragen, Beiträge zu einer basalen Bildung, Ausweitungen und sehr praktische Hinweise in Zusammenhang mit einem Waldbesuch. Illustriert wird der Beitrag durch sieben Fotos, davon vier in Farbe. Ein weiteres praktisches Beispiel stellt Annette Damag (153 – 162) am Vorhaben einer Schifffahrt dar. Alles, was mit Wasser zusammenhängt und was bei einer Fahrt mit dem Schiff erlebt werden kann, bindet sie in eine Geschichte ein und formt diese zu einem Simulationsspiel über mehrere Wochen hinweg. Beide Beiträge lassen sich in ihren konzeptionellen und methodischen Grundlagen auch auf andere Vorhaben übertragen, können also als Anregung für die praktische Arbeit mit Schwerstbehinderten dienen. Kathrin Mohr bietet abschließend noch einen Beitrag „Bildungsangebote für Erwachsene mit schwerer Behinderung im Wohnalltag“ (163 – 181), beginnend mit alltäglichen und überall vorfindlichen Möglichkeiten. Ihr Verständnis von basaler Bildung und deren Einflussfaktoren breitet sie ebenso aus wie ausführliche Überlegungen zur Bildungsarbeit im Wohnheim, verbunden mit ganz praktischen Hinweisen zur Umsetzung, wobei sie die Orientierung am Konzept der Basalen Stimulation ebenso betont wie an der Biografiearbeit. In einem knappen Schlusswort fasst Andreas Fröhlich (182 – 183) noch einmal die Aufgaben und Verantwortungen der Erwachsenen gegenüber Kindern zusammen. Knappe Hinweise zu den Autorinnen und Autoren (184 – 185) schließen den Band ab.
Als Gesamteindruck lässt sich festhalten: Der Band entfaltet wesentliche Aspekte einer basalen Bildungsarbeit mit Schwerstbehinderten von grundlegenden Einstellungen über didaktische und methodische Überlegungen bis hin zu praktischen Beispielen und ist so eine günstige Einstiegs- und Überblickslektüre für Interessierte, Studierende und Berufsumsteiger. Praktikern kann er nützliche weiterführende Hinweise für ihre Arbeit geben. Kommen wir zu Facebook zurück: Der Rezensent hebt alle Daumen hoch, einen für den Inhalt, einen für den Preis und die Ausstattung. Fröhlich und Freunde haben nun mindestens einen Freund mehr.
Hans-Jürgen Pitsch
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