Der Titel lässt zunächst offen, was inklusive Sprachförderung“ genau meint. Jede Grundschullehrkraft ist mit Sprachförderung mehr oder weniger befasst, „inklusiv“ lässt ahnen, dass es sich hierbei um „den sonderpädagogischen Förderschwerpunkt Sprache im inklusiven System“ (Vorwort) handelt, somit ein viel versprechender Titel, denn die inklusive Bildung aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist derzeit ein intensiv diskutiertes Thema in der Pädagogik und im schulischen Alltag. Es ist ein Thema, mit dem sich die Sprachbehindertenpädagogik lange Zeit schwer tat, wie Jörg Mußmann schon im Vorwort anmerkt. Die entscheidende Frage sei nun nicht mehr, ob Inklusion, sondern wie inklusive Bildung umgesetzt wird.
Um es vorweg zu nehmen: auch in diesem Buch erhält der Leser kein Patentrezept oder die neue Didaktik für die Durchführung eines inklusiven Unterrichts mit sprachbehinderten Kindern. Auch erfährt der Sonderpädagoge mit dem Förderschwerpunkt Sprache fachlich wenig Neues. Dem Autor ist es aber gelungen, die Bildung und Unterstützung der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf des Sprechens, der Sprache und Kommunikation konsequent inklusiv zu denken und an praktischen Beispielen die Gelingensbedingungen aufzuzeigen. Dabei scheut sich Jörg Mußmann nicht,
auch die Grenzen zu
beschreiben, an die inklusiver Unterricht geraten kann (23): „ Ist die
sprachliche Handlungsfähigkeit in einem Ausmaß beeinträchtigt, dass die
Teilhabe an einzelnen Unterrichts-und Kommunikationsmöglichkeiten nicht mehr
möglich ist, sind exklusive (nicht exkludierende) individualisierte Maßnahmen
der Unterstützung notwendig. Dann gerät der inklusive Unterricht personell,
konzeptionell und didaktisch an seine Grenzen“.
Trotz der beschriebenen Grenzen ist es das Anliegen des Autors, die
Sprachförderung im gemeinsamen Lernen fachlich begründet zu beschreiben und die
vielfältigen praktischen Möglichkeiten aufzuzeigen.
Das Buch bietet eine
gelungene Übersicht der wesentlichen fachlichen Aspekte in der schulischen
Förderung von Kindern mit Förderbedarf im Bereich der Erst- und auch der
Zweitsprache. Es beschreibt die notwendige fachliche sonderpädagogische Expertise,
die konsequent in jedem Kapitel auf inklusive Bildung bezogen wird.
Im ersten Kapitel wird ein Überblick über den „Förderschwerpunkt Sprache im
inklusiven System“ mit Bezug zur Behindertenrechtskonvention (BRK) gegeben, und
Jörg Mußmann setzt sich mit der These auseinander, dass in der
Sprachbehindertenpädagogik das gemeinsame Lernen erst spät in den Blick genommen
wurde. Diesen Blick will der Autor schärfen, indem er den Unterricht in den
Mittelpunkt stellt, die „Differenzierung der Lernangebote im Unterricht jedoch
nur mit einem individualisierten Blick auf die sprachlichen und kommunikativen Möglichkeiten der Schüler möglich ist“ 16). Das zweite Kapitel beschreibt anhand der Bedingungen des Erst- und Zweitspracherwerbs, dem Ablauf und der
Meilensteine im Sprachlernprozess gut nachvollziehbar die Störungen und Verzögerungen im Spracherwerb auf den verschiedenen Ebenen. Daraus werden im dritten Kapitel die „Handlungsfelder mit dem Förderschwerpunkt Sprache in
Inklusiven Settings“ abgeleitet. Erfreulich ist hier ein Schwerpunkt, der sich mit kooperativer Beratung beschäftigt, denn gelingende sonderpädagogische Unterstützung in Allgemeinen Schulen findet sich nur da, wo Allgemeine und Sonderpädagogen professionell zusammenarbeiten und sich gegenseitig beraten. Theoretische Konzepte der kooperativen Beratung werden beschrieben und stringent auf den inklusiven Unterricht für Kinder mit Förderbedarf der Sprache und des
Sprechens fokussiert und
mit praktischen Beispielen ergänzt.
Auch die Elternberatung und -beteiligung in der Förderung der Kinder bezieht
der Autor mit vielseitigen Aspekten ein – hier eine lohnende Fundgrube auch für
fachlich kundige Sonderpädagogen mit dem Förderschwerpunkt Sprache.
Im vierten Kapitel wird der Unterricht konkret in den sprachfördernden Blick genommen: wo sind sprachliche Barrieren (z.B. lautsprachliche oder schriftsprachliche oder akustische Bedingungen), wie muss Unterricht geplant werden, um diese abzubauen, welche Inhalte und Medien eignen sich, welche Sozialformen bieten kommunikationsfördernde Situationen und wie kann Lehrersprache gezielt und therapeutisch genutzt werden. Von einer solchen Planung können zunächst alle Kinder profitieren, diagnosegeleitete spezifische Interventionsformen kommen den Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf zugute. Viele praktische Beispiele runden auch diesen Teil ab und sind damit gut für die Übertragung in alltägliche Unterrichtssituationen geeignet.
Die graphische Gestaltung des Textes ist die eines Arbeitsbuchs, Icons weisen am Rand auf Beispiele, Zusatzmaterial oder Informationsquellen hin, Stichwörter, ebenso am Rand, lassen Inhalte schnell wiederfinden. Zwölf Abbildungen, eine Tabelle und unterschiedliche Schriftgrößen bieten visuelle Unterscheidung. Diese Darstellung mag zu Beginn des Lesens ewöhnungsbedürftig sein, sie lockert den Text jedoch sinnvoll auf und bietet Orientierung.
Fazit: Jörg Mußmann hat ein (Lehr-) Buch geschrieben, das den Förderschwerpunkt Sprache überblickartig vorstellt und konsequent auf inklusive Settings bezieht.
Die vielen
Literaturhinweise belegen den fachwissenschaftlichen Hintergrund des Autors und
bieten dem Leser die Möglichkeit der Vertiefung. Diese Möglichkeit wird auch
durch eine so genannte Online-Hilfe gegeben. Sechs Zusatzmaterialien finden
sich auf zwei Homepages des Verlags zum Download. Eine gute Idee – allerdings muss
sich jeder zunächst durch Seiten der Verlags-Homepage durchklicken, um zum Ziel
zu gelangen. Das ist unnötiger Aufwand – ein Anhang am Ende des Buchs hätte es
auch getan.
Dieses (Lehr-) Buch bietet insbesondere Studierenden und fachlich nicht
kundigen Grundschullehrkräften einen guten
Überblick über alle Aspekte der Sprachförderung in der Grundschule. Es gibt denjenigen praktische Tipps, die sich auf den Weg begeben, Kinder mit (sonder-) pädagogischem Unterstützungsbedarf im Bereich der Erst- und Zweitsprache in
inklusiven Settings zu fördern und zu unterrichten. Es ist somit eine sinnvolle Ergänzung für jede Lehrerbücherei einer Grundschule.
Heike Raffalski
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