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Schüler mit geistiger Behinderung unterrichten
Karin Terfloth, Sören Bauersfeld

Die beiden Autoren legen mit ihrem Buch einen Leitfaden zur konkreten Unterrichtsplanung im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung vor. Die einzelnen Planungsschritte werden dabei nicht nur auf der Basis elaborierter Theorien diskutiert, sondern zum besseren Verständnis am Beispiel einer Unterrichtseinheit praktisch verdeutlicht. Aus der bildungstheoretischen bzw. kritisch-konstruktiven Didaktik in der Tradition von Klafki sowie der entwicklungslogischen Didaktik nach Feuser entfalten Karin Terfloth und Sören Bauersfeld ihre grundsätzlichen Überlegungen zur Unterrichtsplanung und kommen zu dem Schluss, dass „grundsätzlich in jeder Unterrichtsplanung die gleichen Kernpunkte von Bedeutung“ sind (S. 49), d.h. es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Unterrichtsplanung in der allgemeinen und der Sonderpädagogik. Historisch gesehen hat die Fokussierung auf die lebenspraktische Bildung eine wesentliche Rolle für die Profilierung des Förderschwerpunkts Geistige Entwicklung gespielt. Die Autoren begründen jedoch schlüssig, dass aktuell die gesellschaftliche Teilhabe als Ziel und, damit verbunden, allgemeingültige Bildungsinhalte auch für diesen Förderschwerpunkt gefordert werden. Damit wird die Notwendigkeit zur Elementarisierung offensichtlich. Das Fundamentum, wie es Terfloth und Bauerfeld nennen, bildet den Kern eines Unterrichtsinhalts, also das grundlegende Lernniveau. Als Additum bezeichnen sie die entsprechende Ergänzung bzw. Ausdifferenzierung des Inhaltes auf höheren Lernniveaus. Häufig orientiert sich Unterrichtsplanung bisher an höheren Lernniveaus, Anforderungen und Inhalte für niedrigere Lernniveaus ergeben sich dann durch Reduktion. Die Autoren setzen sich an dieser Stelle für einen umgekehrten Weg ein, indem sie für eine am Fundamentum orientierte Unterrichtsplanung plädieren. Mit der Beschreibung von Lernchancen entwickeln die Autoren auch einen Gegenentwurf zu der üblichen Formulierung von Lehr- und Lernzielen. Zum einen wird damit einer konstruktivistischen Sicht von Lernen stärker Rechnung getragen werden. Zum anderen soll das Konzept der Lernchancen zu einer integrierten Betrachtung aller drei Ebenen der Unterrichtsqualität (Input-, Prozess- und Output-Qualität) führen. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Ansatz, bei dem am Ende das Handeln der Lehrperson stärker in den Fokus gerät, sich in der Praxis durchsetzen kann. Erfolgreiche Interaktion zwischen den im Unterricht beteiligten Personen trägt wesentlich zum Gelingen von Unterricht bei. Entsprechend stellt die Gestaltung und Analyse von Interaktionsprozessen ein wesentliches Moment in der Unterrichtsplanung und -evaluation dar. Speziell im Unterricht mit heterogenen Lerngruppen bzw. im inklusiven Unterricht gewinnt dies noch einmal an Bedeutung, wenn man ein bloßes Nebeneinander der verschiedenen Schülergruppen zugunsten eines echten Miteinanders aufbrechen will. Der hohen Relevanz von Interaktion für Unterricht tragen die Autoren sowohl durch deren immanente Betrachtung in einzelnen Planungsschritten als auch durch ein eigenes Kapitel Rechnung. Gleiches gilt für die Kommunikation als essentielle Grundlage von erfolgreichen Interaktionsprozessen. Da Kommunikation mittels Lautsprache im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung häufig erschwert ist, erweitern die Autoren hier die Betrachtungsweise durch den Ansatz der Unterstützten Kommunikation. Für eine aktive gesellschaftliche Teilhabe als wesentliches Bildungsziel hat Schriftsprachkompetenz einen hohen Stellenwert. Die fächerübergreifende Förderung des Schriftspracherwerbs ist daher ebenfalls ein wichtiges immanentes Element in einzelnen Planungsschritten. Ausgehend von Schülerinnen und Schülern mit einer Beeinträchtigung im Bereich der Geistigen Entwicklung betonen die Autoren folgerichtig die Bedeutung des erweiterten Lesebegriffs nach Hublow bzw. Günthner. Insgesamt bieten die Autoren einen guten Überblick über relevante Theorien für die Unterrichtsplanung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und berücksichtigen dabei auch aktuelle Entwicklungen und Diskussionen. Die Darstellung entlang der einzelnen Planungsschritte unterstützt dabei ein integratives und für die Unterrichtsplanung zielführendes Verständnis der verschiedenen theoretischen Ansätze und Konzepte. Insofern kann das vorliegende Buch speziell für Berufseinsteiger eine Hilfestellung beim Transfer des vielschichtigen theoretischen Wissens aus dem Studium auf die konkrete Praxis der Planung, Durchführung und Evaluation von Unterricht sein. Dies wird noch durch das Beispiel einer konkreten Unterrichtseinheit und den damit verbundenen unmittelbaren Vorschlägen für das praktische Handeln unterstützt. Gemäß der Diskussion zu den Bildungsinhalten wurde von den Autoren mit dem „Energieerhaltungssatz“ ein Thema für das Praxisbeispiel gewählt, was in der Regel dem naturwissenschaftlichen Lernbereich der allgemeinen Pädagogik zugeordnet wird. Die Entfaltung des Beispiels ist sehr anschaulich und auch für Leser ohne fachdidaktische Vorkenntnisse nachvollziehbar. Durchgeführt wurde die dargestellte Unterrichtseinheit mit einer heterogenen Lerngruppe von Schülerinnen und Schülern mit schweren geistigen und mehrfachen Beeinträchtigungen. Die Autoren zeigen anhand der Lerngruppe auf, wie ein Fundamentum und teilweise ein Additum für die Erarbeitung des Themas „Energieerhaltungssatz“ aussehen kann. Die Autoren haben den Anspruch, ein Modell für die Unterrichtsplanung im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung unabhängig vom Förderort vorzulegen (vgl. Untertitel), d.h. auch für den Gemeinsamen Unterricht bzw. für die Inklusion. Im Rahmen des Unterrichtsbeispiels wird nicht konkret auf die Umsetzung im Gemeinsamen Unterricht eingegangen, jedoch sind Anknüpfungspunkte für ein entsprechendes Additum erkennbar. Zusammen mit den Ausführungen auf der Ebene der Theorie regt das Buch zum Nachdenken über Unterrichtsplanung im Gemeinsamen Unterricht an. Zusammenfassend kann die Meinung von Hans-Jürgen Pitsch aus dem Vorwort zum Buch geteilt werden, dass Karin Terfloth und Sören Bauersfeld mit ihrem Leitfaden zur konkreten Unterrichtsplanung eine Lücke in der Literatur zur Didaktik im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung geschlossen haben (S. 9). Dabei ist das Buch zum einen eine gelungene Hilfestellung für all jene, die für die Planung von Unterricht für Schülerinnen und Schülern mit schweren geistigen und mehrfachen Beeinträchtigungen verantwortlich sind. Zum anderen kann es als Grundlage für die Zusammenarbeit der Lehrkraft der Allgemeinen Schule und Sonderpädagoge im gemeinsamen Unterricht sein, im Sinne einer Basis für eine gemeinsame Verständigung über Unterrichtsplanung, -durchführung und -evaluation.

Michael Evers 

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