Die Verfasserin des Buchs, Ursula Haupt, ist seit über 50 Jahren zunächst durch ihre Arbeit als Lehrerin, dann als Schulleiterin und schließlich als Universitäts-Professorin mit Kindern mit Körperbehinderungen verbunden. Von Anfang an war ihr zentrales Anliegen, Einstellungen, Möglichkeiten und Arbeitsweisen zu beschreiben, die die Entwicklung und Bildung körperbehinderter Kinder und Jugendlicher unterstützen. Auch nach ihrer Emeritierung im Jahr 2004 und nach der Beendigung ihrer Lehrtätigkeit an der Universität Landau im Jahr 2009 verfolgt sie dieses Ziel mit der ihr eigenen Konsequenz, was sich in ihrem neuen Buch einmal mehr bestätigt. Es ist in insgesamt acht Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel zur »Entwicklung im sozialen Kontext« sind aktuelle Forschungsergebnisse skizziert, die Risiko- und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Kindern beschreiben. In weiteren Kapiteln stellt Ursula Haupt ihre wichtigsten, aus mehreren anderen Veröffentlichungen bekannten Positionen nicht nur neu zusammen, sondern aktualisiert diese auch. So ergänzt sie die Beschreibung von drei »klassischen« Bewegungsstörungen (zerebrale Bewegungsstörungen, Spina Bifida und Muskeldystrophie) mit Ausführungen zu deren möglichen Folgen für die Entwicklung betroffener Kinder. Sie orientiert sich hierbei an der Klassifikation der WHO und verdeutlicht ihre Ausführungen durch konkrete Praxis-Beispiele anhand von Schriftproben, Kinderzeichnungen und Beschreibungen. Konkrete Auswirkungen werden auch in den anderen Kapiteln thematisiert und kontrovers diskutiert: Ursula Haupt stellt die unterschiedlichen Argumentationslinien dar und bezieht eindeutig Stellung, indem sie ihre Argumente dagegen stellt. Besonders hervorgehoben seien hier die Ausführungen zum »Leben in einer ambivalenten Gesellschaft« (Kapitel 3). Hier geht es nicht nur um gesellschaftliche Einstellungen, sondern auch um die (oft unreflektierten) Haltungen, die Fachkräfte aus helfenden und pädagogischen Berufen gegenüber behinderten Menschen und deren Angehörigen einnehmen. Konsequent thematisiert sie schließlich noch Möglichkeiten der Veränderung von Einstellungen und Verhalten. Ein Kapitel widmet sie ethischen Fragen mit ganz eindeutigen humanistisch geprägten Stellungnahmen, die nicht nur neueste wissenschaftliche Diskussionen einbeziehen, sondern auch Erfahrungen betroffener Menschen und deren Eltern selbst. Schon immer konnte man Ursula Haupt auch als eine Wissenschaftlerin wahrnehmen, deren großes Anliegen es ist, Verständnis für die Situation von Eltern und behinderten Kindern selbst zu wecken. Sensibilität und verständige Zugewandtheit sind wichtige Voraussetzungen, die die selbstbestimmte Gestaltung eines Lebens unter erschwerten Bedingungen erleichtern können. Das umfangreichste Kapitel dieses neuen Buchs ist denn auch den Familien mit behinderten Kindern gewidmet, deren Belastungen, Kompetenzen und Ressourcen, deren Auseinandersetzung mit der körperlichen Beeinträchtigung, der Situation der Geschwister, aber auch der Rolle der Großeltern. Die besonderen, in der Praxis oft problematisch sich gestaltenden Bedingungen der Kooperation zwischen Eltern und Fachkräften sind ausführlich thematisiert. Das hochaktuelle Thema der Inklusion wird von Ursula Haupt sehr differenziert und kritisch diskutiert: Ganz deutlich argumentiert sie von der Seite des Kindes her, stellt dessen Recht nach einer zugewandten und individuell an seinen Entwicklungsimpulsen ausgerichteten Förderung heraus. Sie beschreibt die Chancen einer gemeinsamen Förderung in der frühen und in der schulischen Förderung und die damit untrennbar verbundenen, sehr komplexen und anspruchsvollen Anforderungen an die Fachkräfte. Kinder mit Körperbehinderungen sind in den Fach-Veröffentlichungen zur Inklusion bislang kaum oder gar nicht einbezogen. So wird hier schnell deutlich, dass ernsthaft gemeinte Inklusion ein für alle Seiten anstrengender, sehr anspruchsvoller und keinesfalls kostengünstiger Weg ist. Fazit: Aus einer tief verwurzelten humanistischen Überzeugung heraus beschreibt Ursula Haupt in ihrem neuen Buch vielfältige Aspekte des Lebens von Menschen mit Körperbehinderung und deren Familien. Ihr Ziel ist es, diese Menschen dabei zu unterstützen, ihren eigenen selbstbestimmten Lebensweg selbst zu finden und zu gehen. Deutlich wird auch, dass es weder einfache Erklärungen zu Entwicklungsproblemen von körperbehinderten Kindern geben kann noch einfache Rezepte für ihre Förderung. Hohe Sensibilität und Kreativität der Fachkräfte sind gefordert, die sich an den zahlreichen Praxis-Beispielen im Buch orientieren und diese für die eigene Arbeit kreativ weiter entwickeln können. Seine Arbeit so zu verstehen und zu organisieren ist anspruchsvoll und anstrengend. Aber allemal lohnenswert.
Volker Daut
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