„Riskante Kindheit“ war der Titel des XV.
Symposions der Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung an der
Technischen Universität Dortmund. Die vorliegende Kongresspublikation hat die
wohl treffendere Überschrift erhalten. »Gefährdete Kindheit« impliziert
automatisch eine psychosozial orientierte Sichtweise einer gesellschaftlichen
Grundproblematik. Die vielen Beiträge des Bandes sind keine »lose«
Referatesammlung, sondern sind vom Herausgeber gründlich gesichtet und geordnet
worden. Sie sind deshalb auch gut lesbar.
Die Systematik des Bandes gliedert sich in allgemeine Grundlagen kindlicher
Entwicklung, Frühdiagnostik incl. Ressourcenerschließung, Konzeptentwicklung
sowie kooperative Aufgaben und Lösungsansätze. Den Abschluss bildet ein
Ausblick auf internationale Perspektiven.
In einer Fülle von Einzelvorträgen haben Praktiker und Theoretiker die Vielfalt
der Aufgaben interdisziplinärer Frühförderung beschrieben. Bedeutsame
Fachvertreter – u.v.a. Papousek, Weiß, Ziegenhain – kommen zu Wort. Die Themenauswahl
reicht von fachspezifischen Fragestellungen bis hin zu Grundsatzfragen von
Prävention und Förderung. Davon profitieren sicherlich die Studierenden der
beteiligten Fachdisziplinen. Frühförderung als »multiprofessionelles
Unternehmen« verlangt einen hohen Sensibilitätsgrad aller vorgesehenen
Berufsgruppen im Miteinander.
Das Buch bietet umfassend die Möglichkeit, sich über den »bekannten Tellerrand«
hinaus zu informieren. Es gibt nicht viele Handlungsfelder, in denen Medizin
und Pädagogik sich zu einer teamorientierten Alltagspraxis verpflichten. Der
kindzentrierte und curativ ausgerichtete Ansatz sollte angesichts veränderter
Klientelzusammensetzung der Vergangenheit angehören. Auch zu dieser Thematik
erfolgt eine entsprechende Reflexion. Es wird deutlich, dass Netzwerkarbeit und
kooperative Absprachen mit Trägern der Jugendhilfe zwangsläufig notwendig sind,
um entwicklungsgefährdeten Kindern und ihren Familien wirksame Unterstützung
anzubieten. Nicht verschwiegen wird, dass diese kooperativen Lösungsansätze
lediglich in Einzelprojekten erprobt werden. Angesichts der Unüberschaubarkeit
in der Konzeptvielfalt ermutigt die Veröffentlichung, in der Projektarbeit
initiativ zu werden. Nach mittlerweile zehn Jahren nicht erfolgter SGB IX
Umsetzung inklusive Frühförderverordnung ist die Kreativität, aber auch die
Öffentlichkeitsarbeit der Einrichtungen gefragt. Der Band belegt eindrucksvoll,
welche fachlichen Standards in den letzten Jahren entwickelt wurden. Das ist
sicherlich auch ein Verdienst engagierter Persönlichkeiten, die unermüdlich an
den Prinzipien der Interdisziplinarität festgehalten haben. Zu diesem
Personenkreis gehört auch der Herausgeber dieses Bandes. Es bleibt zu hoffen,
dass bei einem jetzt vielerorts anstehenden Generationenwechsel dieses »Erbe«
nicht dem verwaltungs- und finanztechnischen Strukturierungswahn geopfert wird.
Ein erster kritischer Aufruf aus der Landesvereinigung für Interdisziplinäre
Frühförderung in Brandenburg ermutigt, sich analytisch mit diesem
sozialpolitischen Phänomen auseinanderzusetzen.
Wolfgang Kröner