Carmen Dorrance legt mit ihrer Publikation
ein umfassendes und detailliertes Werk zu einem bislang wenig bearbeiteten
Themenfeld innerhalb der Integrationsforschung vor. Anhand von Fragebögen und
Elterninterviews rekonstruiert sie den Übergang von Kindern aus integrativen
Kindergärten in die Grundschule. Das Ziel der Erhebung besteht nach Aussage der
Autorin in der Analyse der Bedingungen, die sich für Eltern von Kindern mit
Behinderung im Übergangsprozess ergeben. Das Buch bietet somit
frühpädagogischen Fachkräften, Lehrkräften und Studierenden wichtige Impulse
zur Weiterentwicklung der eigenen Einrichtung sowie zur Kooperation zwischen
Kindergarten und Grundschule im Rahmen einer inklusiven Übergangsgestaltung.
Dabei steht die Perspektive im Vordergrund, allen Kindern kontinuierliche
inklusive Bildungsbiographien zu ermöglichen.
In ihrer Einleitung beschreibt Dorrance die Tendenz, dass Kindern mit einer
Behinderung in Deutschland zunehmend mehr Integrationsplätze in
Kindertageseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Zugleich macht sie
angesichts der Forderung nach einem inklusiven Bildungssystem darauf
aufmerksam, dass die Weiterentwicklung von allen allgemeinen und
Sondereinrichtungen forciert werden müsse (19). Während der Wunsch von Eltern nach einem Integrationsplatz für
ihr Kind im Kindergarten noch realisierbar erscheint, stellt der Übergang in
das Schulsystem die Familien vor Hürden.
Im damit skizzierten Spannungsfeld setzen zentrale Fragestellungen der Erhebung
von Dorrance an (24): Unter
welchen Bedingungen fallen Entscheidungen bei der Einschulung von Kindern mit
Behinderung? Wie sehen die Vorstellungen der Eltern aus? Auf der Grundlage
eines ökosystemischen Theorierahmens fokussiert die Verfasserin den
Transitionsprozess von Kindern, die einen Integrationsplatz in Münchener
Kindergärten einnahmen und in die Grundschule übergingen. Besonders
eindrucksvoll gelingt ihr dabei die Darstellung von Segregationsstrategien im
Deutschen Schulsystem, die sie entlang der Begriffe Exklusion, Separation,
Integration und Inklusion vollzieht.
Auch mit Hilfe einer Vielzahl von Abbildungen wird das Spannungsfeld zwischen
Homogenitätsfiktion und Anerkennung von Vielfalt schlüssig nachgezeichnet
(Kapitel 3). In
Kapitel 4 werden auf
der Grundlage des internationalen Forschungsstands die Rahmenbedingungen für
die Kontinuität der Integration und Inklusion von Kindern mit Behinderung
zwischen Elementar- und Primarbereich aufgezeigt. Der internationale Vergleich
mündet schließlich in den unterschiedlichen Integrationsanteilen der einzelnen
Bundesländer sowie der jeweiligen Sonderschulbesuchsquote auf der Basis
aktueller Datensätze (142).
In Kapitel 5 wird der
empirische Teil der Arbeit vorgestellt. Dorrance arbeitet auf der Basis ihrer
umfangreichen Recherchen zunächst das Untersuchungsziel ihrer regionalen
Erhebung heraus: Auf der einen Seite erfolgt eine Bestandsaufnahme der
Vorstellungen und Wünsche von Eltern im Übergangsprozess von der integrativen
Kita in die Schule. Auf der anderen Seite steht die Frage danach im
Vordergrund, auf welche Bedingungen Eltern bei der Umsetzung ihrer Wünsche
treffen. Zur Beantwortung dieser Fragestellungen entwickelt die Autorin ein
zweistufiges Forschungsdesign.
Die erste Erhebung wurde zum Zeitpunkt vor der Einschulung durchgeführt, die
zweite Erhebungsphase erfolgte, sobald die Zuweisung zu einer Schule
formalisiert war. Die Erhebungsinstrumente setzten sich im Zuge der Kombination
quantitativer und qualitativer Forschungsmethoden aus teilstandardisierten
Fragebögen und narrativen Interviews zusammen. Einige zentrale Teilergebnisse
der Studie weisen auf die positive Einschätzung der Eltern in Bezug auf die
Qualität der sozialen Integration in der Kindergartengruppe hin. Eltern sind
überwiegend überzeugt, dass ihr Kind geeignet ist, auch eine Regelschule
besuchen zu können (299),
gleichzeitig geht eine hohe Anzahl von Eltern aber von einer Diskontinuität im
Integrationsprozess vom Kindergarten in die Regelschule aus (303). Aus den Interviews wird deutlich, dass
Eltern die Entwicklungspotenziale ihrer Kinder differenziert beschreiben und
dabei die Kategorie Behinderung als ungeeignet betrachten. Die befragten Eltern
sprechen sich nicht einhellig für oder gegen eine Beschulung in der
Förderschule aus, sondern sehen den individuellen und differenzierten Förderbedarf
des eigenen Kindes unabhängig von der schulorganisatorischen Praxis. So werden
einerseits Bedenken geäußert, dass die positiven Effekte der Integration im
Elementarbereich durch die »Dynamik einer Schulkarriere im Förderschulbereich«
(331) verpuffen
könnte, andererseits befürchten Eltern, dass die Integration in die Regelschule
zu Lasten der individuellen Förderung des Kindes geschehen oder zu einer
Überforderung führen könne.
»Barrierefrei vom Kindergarten in die
Schule« ist ein Buch, das auf mehreren Ebenen überzeugt: Auf der einen Seite
existiert derzeit kein Werk, dass in dieser detaillierten und schlüssigen Weise
den aktuellen theoretischen und bildungspolitischen Stand der Diskussion im
Zusammenhang mit der UN-Behindertenrechtskonvention beleuchtet, auf der anderen
Seite bietet es interessante Forschungsergebnisse im Kontext Inklusion unter
Berücksichtigung der Perspektive betroffener Eltern. Es trägt damit in hohem
Maße zur Gestaltung des Übergangsprozesses vom Kindergarten in die Grundschule
bei.
Timm Albers