Das 16. Symposion Frühförderung der Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung
e.V. fand vom 31.3.– 2.4.2011 unter der Schirmherrschaft der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Dr. Ursula von der Leyen, und
unter der wissenschaftlichen Leitung und Konzeption von Prof. Dr. Christoph
Leyendecker an der Humboldt- Universität zu Berlin statt.
Die Interdisziplinäre
Frühförderung steht aktuell in einem Spannungsfeld: Einerseits definiert sie
sich als eine besondere interdisziplinäre Förderaktivität für behinderte und
von Behinderung bedrohte Kinder sowie eine spezifische Beratungsleistung für deren
Familien. Sie richtet sich somit an einen bestimmten Personenkreis, arbeitet
mit speziellen Methoden und wird überwiegend durch besondere Einrichtungen
(IFFB/Interdisziplinäre Frühförder- und Beratungsstellen, SPZ/Sozialpädiatrische
Zentren) erbracht.
Der Personenkreis, für die die Interdisziplinäre
Frühförderung ihre Leistungen anbietet, hat sich in den letzten Jahren
wesentlich erweitert: So wendet sich die Frühförderung heute nicht mehr
unbedingt nur an Kinder mit »klassischen« Behinderungsformen wie cerebrale
Bewegungsstörungen oder chromosomale Schädigungen, sondern gerade auch an
Kinder mit allgemeinen und spezifischen Entwicklungsstörungen und
Entwicklungsauffälligkeiten. Dabei ist die kooperative und interdisziplinäre
Zusammenarbeit auf personeller und institutioneller Ebene ein unverzichtbares
Merkmal gelingender Unterstützung von Familien mit behinderten und von
Behinderung bedrohter Kinder geworden.
Doch ist dies gemeinsame Tun schon genug?
Wie steht Frühförderung vor der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen da, die eine Realisierung des Rechts aller Kinder auf eine
gemeinsame Bildung und Erziehung von Anfang an fordert?
Wie ist Frühförderung
in einer gesamtgesellschaftlichen Inklusion positioniert?
Diese und andere
Fragen bewegen derzeit die Frühförderung. In verschiedenen Themenblöcken,
Vortragsreihen und Workshops wurden Antworten vorgeschlagen, diskutiert, kritisiert,
erörtert und erweitert, um die zukünftige Arbeit fortzuentwickeln. So bot sich für
über 1000 Teilnehmerinnen
und Referentinnen ein bundesweites, interdisziplinäres Forum, zusammengesetzt aus
verschiedenen Vertretern (wissenschaftlicher) Fachdisziplinen, Praktikern, Politikern
und Interessierten. Im Mittelpunkt stand die Diskussion zur mangelhaften Umsetzung
der Komplexleistung Frühförderung in Deutschland. Diese ist im Sozialgesetzbuch
IX und in der Frühförderverordnung verankert und regelt u.a. die Finanzierung
und Zuständigkeit der Kostenträger der interdisziplinären Frühförderung als
ganzheitliches Angebot. Bestandteile der Komplexleistung sind hierbei die
Zusammenarbeit und der Austausch verschiedener Fachdisziplinen, die Beratung
der Erziehungsberechtigten und die mobil aufsuchenden Hilfen sowie ein offenes,
niedrigschwelliges Beratungsangebot für Eltern. Auf dem Symposion wurde eine
Resolution verabschiedet, um auf diese Problematik aufmerksam zu machen.
Bedeutsam
für die Sonderpädagogik erscheint die Tatsache, dass viele der angesprochenen
Problemstellungen nicht nur die Frühförderung, sondern auch die Sonderpädagogik
betreffen. Notwendige Veränderungen hinsichtlich inklusiver Bildungs- und
Erziehungsangebote gilt es in beiden Systemen kontinuierlich voran zu treiben.
Hier können Frühförderung und Schule zukünftig noch stärker voneinander profitieren,
wenn es z.B. gilt, Transitionen, d.h. Übergange von der Frühförderung
respektive der Kindertagesstätte (die meist auch mit der Frühförderung
kooperiert) zur Schule zu gestalten. Studien nehmen insbesondere den Übergang
von der Kindertagesstätte in die Schule in den Blick. Eine Transition gestaltet
sich nach Leyendecker als ko-konstruktiver Prozess, in dem bei Kindern mit
Behinderung bzw. drohender Behinderung und Entwicklungsauffälligkeit auch weitere
Fachleute bzw. Hilfesysteme wie die Frühförderung beteiligt sind.
In Zeiten
knapper zeitlicher und personeller Ressourcen scheint es mehr als notwendig,
sinnvolle Kooperationsmöglichkeiten zu entwickeln, um dem individuellen Bedarf
des Kindes hinsichtlich einer Sicherheit bietenden Kontinuität, aber auch eines
Neugier und Mut zur Veränderung erweckenden Neuanfangs als Schulkind gerecht zu
werden. Auf struktureller Ebene können Frühförderung und Schule sowohl hinsichtlich
diagnostischer und entwicklungsbezogener Kenntnisse als auch familiäres und
soziales Umfeld betreffender Erfahrungen voneinander profitieren, ohne ein
vorgefertigtes Bild des Kindes prägen zu wollen. Auch könnten
(Früh-)Förderungen bereits vor Schuleintritt durch eine frühzeitige Kooperation
hinsichtlich anstehender schulischer Anforderungen konzeptionell gemeinsam
durchdacht werden.
Diese Aspekte betreffen sicherlich nur einen geringen
Ausschnitt möglicher Kooperationsfelder, die es zukünftig auch mit einer
strukturellen Sicherheit im Sinne der Schaffung von zeitlichen und personellen Kapazitäten
auszubauen gilt.
Britta Gebhard
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