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Preisverleihung Peter Singer
Offener Brief von Prof. Dr. em. Georg Feuser

Lesen Sie hier die Reaktion von Prof. Dr. em. Georg Feuser auf die Preisverleihung in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt an Peter Singer:

Zürich, den 03. Juni 2011
An die
GIORDANO-BRUNO-STIFTUNG
Herrn HERBERT STEFFEN (1. Vorsitzender)
Herrn Dr. MICHAEL SCHMIDT-SALOMON (Vorstandssprecher)
Frau ELKE HELD (PR-Abteilung)
DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK
Frau Dr. ELISABETH NIGGEMANN (Generaldirektorin)
Frau ANNETT KOSCHNICK (Öffentlichkeitsarbeit)
Herrn Prof. Dr. THOMAS METZINGER (Univ. Mainz)
Herrn Prof. Dr. WOLF SINGER (München)
zur Kenntnisnahme an:
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
Herrn HUBERT HÜPPE

ÖFFENTLICHER BRIEF

Betr.: Verleihung des Ethik-Preises der Giordano-Bruno-Stiftung an Herrn Peter Singer in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt/M. am 03. Juni 2011
Podiumsdiskussion am 04. Juni 2011
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es dürfte weder ein Mangel an Information noch an gebotener Rationalität dafür ursächlich sein, dass Sie den Ethik-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung u.a. an Herrn Peter Singer verleihen.
Diese Annahme zu Grunde legend, muss ich mein Entsetzen über die Entscheidung der Stiftung äußern, die damit nicht nur einen Wissenschaftler ehrt, der nicht nur das Leben schwerer
beeinträchtigter Menschen, sondern auch das von (nicht behinderten) Neugeborenen zu beenden als moralisch vertretbar, in bestimmten Fällen als geboten und ethisch zu rechtfertigen ansieht, sondern damit auch das Leben, Wirken und Sterben des Giordano Bruno, dessen Namen sich die Stiftung bemächtigt, konterkariert.
Ich muss mich entschieden von den von Ihnen, Herr Schmidt-Salomon, in der digitalen Pressemappe Ihrer Stiftung vom 16.05. getroffenen Aussagen wie von Ihren Ausführungen auf
der Homepage der Stiftung mit Datum vom 26.05.2011 unter der Überschrift „was sagt Peter Singer wirklich?" getätigten Aussagen und Interpretationen distanzieren.
Dass, wie Sie ausführen, wer die Bücher von Peter Singer gelesen und verstanden hat, nur zu dem Urteil kommen kann, dass er „einer der klarsten und mitfühlendsten Denker unserer Zeit”
ist, mag ihre persönliche Auffassung sein, steht hier und mit der Entscheidung der Stiftung aber nicht zur Debatte. Wer die Bücher gelesen und verstanden hat, kann nicht davon absehen, dass Herr Singer - wenn auch in Referenz zu seiner wissenschaftstheoretischen Grundposition des Utilitarismus und Präferenzutilitarismus - im Kern die Freigabe der Tötung als lebensunwert, leidend oder das Glück in seiner Summe (für andere) mindernden Menschen, allen voran derer, die als behindert gelten - fordert. Dies im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland, die die Unantastbarkeit der Würde des Menschen in ihrem ersten Artikel feststellt.
Auch die ethischen Ansätze von Herrn Singer zur Behandlung der Tiere ist davon nicht abzuspalten und völlig separiert zu betrachten, wenn er in Auflösung der Gattungsgrenzen, so
fließend sie im evolutionären Prozess auch sein mögen, feststellt, dass „deren Leben [das der Tiere; GF] nach jedem Maßstab wertvoller ist als das Leben gewisser Menschen. Ein Schimpanse, ein Hund oder ein Schwein etwa wird ein höheres Maß an Bewusstsein seiner selbst und eine größere Fähigkeit zu sinnvollen Beziehungen mit anderen haben als ein schwer zurückgebliebenes Kind oder jemand im Zustand fortgeschrittener Senilität. Wenn wir also das Recht auf Leben mit diesen Merkmalen begründen, müssen wir jenen Tieren ein ebenso großes Recht auf Leben zuerkennen oder sogar ein noch größeres als den erwähnten zurückgebliebenen oder senilen Menschen” [Singer, P. (1982): Befreiung der Tiere. München, S. 40]
Damit dürfte auch das Leitbild der Stiftung, die sich einem „Evolutionären Humanismus” und einem verantwortungsvollen Umgang mit der nichtmenschlichen Tierwelt verpflichtet fühlt
und dies mit Bezug auf Albert Schweitzer’s Aussage untermauert, dass es um »Leben geht, das leben will, inmitten von Leben, das leben will« konterkariert sein und auch die für den 04.06.2011 vorgesehene Podiumsdiskussion (mit den Herren Prof. Dr. Metzinger und Prof. Dr. Wolf Singer) tangieren.
Dass die Deutsche Nationalbibliothek, die auch die Anne-Frank-Shoah-Bibliothek beheimatet, ihre Räumlichkeiten für die Preisverleihung zur Verfügung stellt, erfüllt mich in gleicher Weise
mit Entsetzen. Auf dem Hintergrund einer 1963 beginnenden und bis heute anhaltenden Arbeit mit schwerst und mehrfach behinderten und tiefgreifend entwicklungsgestörten Menschen (sie galten u.a. als „austherapiert”, „therapieresistent”, „lern- und bildungsunfähig”, als „selbst- und fremdgefährdend”, ja als „gemeinschaftsunfähig” und waren über Jahre und Jahrzehnte hochgradig sozial und bildungsmäßig depriviert und isoliert) - seit 1978 als Ordinarius in Forschung, Theoriebildung, Lehre und pädagogisch-therapeutischer Praxis - kann jede seitens Herrn Singer’s fachfremd über diese Menschen gemachte Aussage widerlegt werden. Den nach Erscheinen seiner „Praktischen Ethik” entstandenen Diskurs heute als „skandalöse Rufkampagne gegen ihn, gestrickt aus grotesken Fehldeutungen und böswilligen Unterstellungen” zu interpretieren, wie das Herr Schmidt-Salomon für die Giordano-Bruno-Stiftung tut und mit dem Hinweis verknüpft, dass es damals leider keine Giordano-Bruno-Stiftung gegeben hat, die dem hätte entgegenwirken können, kann nur als skandalös bezeichnet werden.
An Unverschämtheit aber grenzt es, wenn die Stiftung aufgrund der Stellungnahme des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen zur Preisverleihung
in den Räumen der Deutschen Nationalbibliothek, Herrn Hubert Hüppe, nun, wie auf der Homepage der Stiftung verlautbart, dessen Rücktritt und eine Entschuldigung für seine Stellungnahme fordert und mit rechtlichen Schritten droht. Hier dürften sich die realen Verhältnisse bedrohlich verkehren!
Hochachtungsvoll
(Georg Feuser), ehem. Universität Zürich
Institut für Erziehungswissenschaft
Bereich Sonderpädagogik

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