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Tagung des Referats Emotionale und Soziale Entwicklung 2017

Die Tagung der Landesreferentinnen und -referenten für den Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung fand vom 18. bis 20. Mai 2017 statt. In diesem Jahr waren leider nur zehn Bundesländer vertreten – diese aber zum Teil einschließlich der stellvertretenden Landesreferenten, sodass wir mit 16 Teilnehmenden tagen konnten. Die Lehrkräfteakademie Weilburg/Hessen bot den Rahmen für eine intensive Klausurtagung zu verschiedenen relevanten Themen.

Auf dem Tagungsprogramm nahmen neben den Länderberichten die aktuellen Verbandsangelegenheiten breiten Raum ein. Denn das Bundesreferat wurde in diesem Jahr erfreulicherweise in die fachliche Arbeit auf Bundesebene einbezogen. Wir waren an der Vorbereitung des vds-Fachgesprächs „Wenn alle Stricke reißen – Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen mit hohen Unterstützungsbedarfen an der Universität Würzburg, am 17. September 2016 beteiligt und personell breit vertreten. Auch an der anschließenden Fertigstellung des Entwurfs für ein Positionspapier „Bildung und Erziehung bei komplexen Entwicklungsstörungen und hohem Exklusionsrisiko“ konnten wir erheblichen Anteil haben und uns fachlich einbringen.

Die Beteiligung am vds-Fachgespräch „Sonderpädagogische Wissenschaft und Praxis quo vadis?“, am 8. März 2017 in Kassel war für die Bundesreferentin möglich und bereichernd. Die Aussprache mit den Landesreferenten über die Aktivitäten ergab große Zufriedenheit mit unserer Arbeitsbilanz.

Für die vom Bundesausschuss beauftragte nochmalige Bearbeitung des Antrags 18a der Hauptversammlung (HV) „Raumkonzepte“ wurde eine kurze Stellungnahme verfasst und mit Anlagen an den Bundesvorstand weitergeleitet. Zur Vorbereitung auf die HV in Erfurt 2017 diskutierten wir die Zusammenarbeit zwischen Bundesvorstand, anderen Gremien und der vds-Mitgliederschaft.

Ein arbeitsteiliges Vorgehen in geteilter Verantwortung kann durch transparente Abstimmungsprozesse noch verbessert werden. Dazu wurden zwei HV-Anträge formuliert. Weiterhin wurden Themen für die vds-AG Zukunftsperspektiven gesammelt und dabei konkrete Vorschläge zu verschiedenen Zukunftsthemen diskutiert bspw. für Mitgliederakquise, für die Mobilisation zur aktiven Mitarbeit im Verband und in der Zeitschrift für Heilpädagogik, für die Berücksichtigung von Mitgliederimpulsen bei thematischen Schwerpunktsetzungen des Verbands, für Dienstleistungen des Verbands für die Mitglieder und zur besseren Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Die Diskussionsergebnisse sollen durch die Bundesreferentin in die Arbeit der vds-AG Zukunftsperspektiven einfließen.

Im diesjährigen „Kamingespräch“ hatten wir einen interessanten Austausch mit Gerhard Kopplow (Fachberater im Hessischen Kultusministerium und Schulleiter einer Schule für Erziehungshilfe in freier Trägerschaft) zur Situation in Hessen. Die dortigen BFZ (Bildungs- und Förderzentren) gemeinsam mit den Schulen in freier Trägerschaft sichern das Angebot (ambulant, stationär, beratend und intervenierend) im Förderschwerpunkt. Hierbei ist die Entlastungsfunktion durch die Schulen in freier Trägerschaft für die BFZ in schwierigen Einzelfällen weiterhin möglich und notwendig.

Als fachliche Basiskonzeption sowohl für den gemeinsamen Unterricht als auch für die Schulen für Erziehungshilfe wird das ETEP-Konzept und EPU durch das Hessische Kultusministerium gefördert. Es wird in die Qualifizierung von ETEP-Trainern investiert. Elemente der BFZ-Konzepte, wie systemische Ressourcenzuweisung, Verknüpfung von Diagnostik, Beratung und Unterstützung sind für die Inklusion übernommen worden. Kurzzeitinterventionen („Korridorklassen“) für Kleingruppen existieren mit der Zielperspektive der Reintegration.

Der diesjährige Impulsvortrag wurde von Prof. Dr. Clemens Hillenbrand zur MST-Multisystemische Therapie gehalten. Mit dem transaktionalen Entwicklungsmodell betonte er den Zusammenhang zwischen Genetik und sozialem Stress als möglichen ätiologischen Ausgangspunkt der Entwicklung von Gewaltverhalten, Aggressivität und Devianz (vgl. Koglin/Petermann, 2012). Er verwies auf die Ergebnisse der Resilienzforschung zu protektiven Faktoren, die sich sowohl in sozialen Förderprogrammen als auch in Elterntrainings niederschlagen. Auf diese beziehen sich auch die evidenzbasierten Interventionen aus dem anglo-amerikanischen Raum wie die Multidimensional Treatment Foster Care for Adolescents (MTFC-A), die Functional Family Therapy (FFT) und die Multisystemic Therapy (MST).

Die MST ist ein intensivpädagogisches Interventionsprogramm (der in den USA gebräuchliche Begriff „therapy“ stimmt nicht mit dem deutschen „Therapie-Begriff“ überein). Als Diversionsprogramm wendet es sich an die Zielgruppe der 12- bis 17-jährigen Straftäter vor Haftende. MST ist eine familienbasierte und lösungsorientierte Kurzzeitintervention von drei bis fünf Monaten. Es gibt Umsetzungsversuche in Dänemark, der Schweiz und seit 2016 in kleinstem Rahmen in Mainz. Wir diskutierten, welche Erfahrungen in die sonderpädagogische Praxis zu übertragen wären und stellten dabei diese Qualitätskriterien mit Praxisrelevanz für intensivpädagogische Konzepte heraus: Mehrdimensionalität der pädagogisch-therapeutischen Zugänge, Intensität, Kurzzeitansatz, Komplexleistung unterschiedlicher Kostenträger, familienbasiertes systematisches Vorgehen, Evaluation und Kontrolle, Teamverantwortung und Supervision. Anerkennungskultur und Beziehungsangebot (individualisiert, dialogisch, aufsuchend), Komplexität reduzieren und Erfolg organisieren.

Wir halten es für möglich, diese Kriterien als „Checkliste“ für die Reflexion eigener Praxis zu nutzen. Wir danken Prof. Dr. Clemens Hillenbrand sehr für den anregenden fachlichen Impuls. Eine Arbeitsgruppe hat damit begonnen, die in der Diskussion herausgearbeiteten Qualitätskriterien weiter zu konkretisieren, um dadurch praxisrelevante Orientierungen zu bieten, die bspw. in die Thüringer Richtlinien für den Förderschwerpunkt einfließen könnten. Diese Arbeit wird in Thüringen durch unsere dortige Landesreferentin Dr. Andrea Bethge fortgesetzt.

Unter unserem Tagesordnungspunkt „Offene Diskussion“ konnten die Praxiserfahrungen der einzelnen Landesreferenten ausführlich diskutiert werden. Einige brennende Fragen stellten sich zu den Grenzen der Integration an (Schwerpunkt)schulen: Wieviel Veränderungsbereitschaft hat die Allgemeine Schule überhaupt? Welche Möglichkeiten systemischer Unterstützung haben wir als Pädagogen für Erziehungshilfe? Die Beharrlichkeit allgemeinpädagogischer Strukturen wirkt begrenzend. Wie definieren wir diese Grenzen? Wie gehen wir mit dem subjektiven Empfinden von Scheitern um?

Eine Idee zum professionellen Umgang mit Grenzen der Integrationskraft von Schulen legte Heike Boks aus Sachsen-Anhalt mit einem „Kompetenzportfolio“ vor, das neben den Kompetenzen des Kindes auch die des Umfelds und der Bildungseinrichtung abbildet (Kontakt: Wilhelm-Busch-Schule: busch.schule@t-online.de). Wir diskutierten rund um das Spannungsfeld Inklusion/Exklusion und stellten fest, dass dieses sich in unserem Referat durch zwei konträre Thesen polarisieren ließe: „Das Regelschul-System muss vom Kinde aus denken und in jedem Fall integrative Maßnahmen bereitstellen!“ und „Es wird immer Kinder geben, die unter integrativen Bedingungen nicht beschulbar sind und eine besondere schulische Heimat brauchen!“ Wir haben im Referat hierzu unsere gemeinsamen Positionen so geschärft, dass wir intensivpädagogische Maßnahmen als selbstverständliches Modul eines inklusiven Beschulungssystems ansehen (vgl. vds-Positionspapier Emotionale und Soziale Entwicklung – Kurzfassung, 2016). Für alle Module eines gestuften Systems inklusiver Beschulung im Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung gilt es, Konkretisierungen, Handreichungen und Arbeitshilfen zu entwickeln.

Wir wollen uns zukünftig näher mit unserer (Multi-)Profession (und Folgen für die Professionalisierung) beschäftigen. Dabei ist uns wichtig, dass die Professionalität nicht allein durch die jeweilige Fachlichkeit, sondern auch maßgeblich durch die psychosoziale Stabilität und Identität des Praktikers bestimmt wird, die wiederum von strukturellen Rahmenbedingungen beeinflusst werden kann.

Salutogenetische Perspektiven, professionelle Selbstreflexion, Beratungsqualität haben deshalb in unserem Förderschwerpunkt hohe Bedeutung.

Unser nächstes Referententreffen zu diesem thematischen Schwerpunkt wird vom 12. bis 14. April 2018 im Kloster Ilsenburg in Sachsen-Anhalt stattfinden. Die organisatorische Vorbereitung vor Ort übernimmt dankenswerterweise Heike Boks. Die Landesreferenten wünschen zwischen den jährlichen Treffen die Intensivierung unserer überregionalen Fachdiskussion, z. B. durch digitale Austauschforen, gegenseitige Arbeitsbesuche und Hospitationen. Umsetzungsmöglichkeiten wurden diskutiert. Unser langjähriges Referatsmitglied Angelika Lock (Schleswig-Holstein) wird nach ihrer Pensionierung die Mitarbeit im Referat aufgeben. In Mecklenburg-Vorpommern wird bald eine neue Landesreferentin gewählt. In diesem Jahr war erstmalig für Nordrhein-Westfalen Renate Weber in unserer Gruppe dabei. Wir gratulieren unserer Landesreferentin Dr. Andrea Bethge (Thüringen) zu ihrer erfolgreichen Dissertation. Wir danken Baldur Drolsbach für die umsichtige Vorbereitung und Organisation in diesem Jahr.

Christiane Mettlau

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