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Reutlinger Erklärung zum Lehramt Sonderpädagogik

Vor dem Hintergrund der laufenden Diskussion zur Veränderung der Lehrerbildung in Baden-Württemberg und des in diesem Kontext vorgelegten Gutachtens einer Exper-tenkommission nimmt die Reutlinger Erklärung Stellung zu den vorgeschlagenen Veränderungen im Bereich des Lehramtes ‚Sonderpädagogik‘.
Berufsbild
Schulische sowie vor-, außer- und nachschulische Bildungs-, Unterstützungs- und Beratungsangebote für Menschen mit komplexen sozialen, behinderungs- und er-krankungsbedingten Beeinträchtigungen (z.B. in der Frühförderung, der sonderpäda-gogischen Dienste, der Kulturarbeit, Übergang von Schule in Beruf und Arbeit) gehö-ren zu zentralen Aufgaben der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen.
Rolle der Sonderpädagogin und des Sonderpädagogen in allgemeinen Schulen und sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren
Kernaufgabe von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ist die Gestaltung von Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Beeinträch-tigungen und Behinderungen. Sie sind Expertinnen und Experten für sonderpädago-gische Lern- und Entwicklungsdiagnostik und verfügen über spezifische Kompeten-zen im Bereich der Beratung sowie über Kompetenzen, um den besonderen Anfor-derungen in speziellen und inklusiven Bildungsangeboten professionell begegnen zu können. Dies schließt das Arbeitsfeld ‚Frühkindliche Bildung‘ mit ein.
Forschung
Die Forschung zu sonderpädagogischen Fragestellungen muss in allen Fachrichtun-gen und in den Fächern der Allgemeinen Sonderpädagogik kontinuierlich und nach-haltig gesichert sein. Evaluationsstudien zu sonderpädagogischen Unterstützungs- und Bildungsangeboten sind hierbei ein unverzichtbarer Bestandteil.
Inhalte des Studiums
Auf der Grundlage von umfänglichen Studienanteilen in den allgemeinen Bildungs- und Erziehungswissenschaften, in den Fachwissenschaften, den Fachdidaktiken ein-zelner Unterrichtsfächer sowie auf der Basis eines Grundverständnisses zum Thema Inklusion und sonderpädagogische Grundfragen werden zwei sonderpädagogische Fachrichtungen studiert. Wählbar sind folgende Schwerpunkte: Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung, Lernen bei Blindheit und Sehbehinderung, Hö-ren, geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung. Des Weiteren werden u.a. Kompetenzen in Bereichen wie Kooperation, interdisziplinäre Teamar-beit, Pädagogik bei Krankheit, Beratung vermittelt. Außerschulische Handlungsfelder wie z.B. Frühkindliche Bildung, Kulturarbeit, Übergang von der Schule in Erwerbsar-beit sind ebenfalls Gegenstand der Ausbildung.
Die Vorschläge der Expertenkommission verweisen u.a. auf die Notwendigkeit der Verankerung einer Grundbildung zu Fragen der Inklusion in allen Lehrämtern. Diese Weiterentwicklung wird begrüßt.
Hinsichtlich der Empfehlung der Expertenkommission, dass Sonderpädagogik nur noch anstelle eines Unterrichtsfaches und nicht mehr als eigenständiges Lehramt studiert werden kann, haben wir jedoch erhebliche fachliche Bedenken.
Im Gutachten wird die Abschaffung eines eigenständigen Lehramtes Son-derpädagogik gefordert

  • Auch künftig muss es Lehrerinnen und Lehrer geben, die im Bildungsbereich in Verbindung mit einer professionellen sonderpädagogischen Haltung die Interes-sen und Bedürfnisse der jungen Menschen mit Behinderung im Fokus ihres beruf-lichen Handelns haben. Dies ist ohne ein eigenständiges Lehramt Sonderpäda-gogik nicht möglich. Darüber hinaus ist eine Verortung spezifischer sonderpäda-gogischer Forschung nicht mehr gewährleistet.

Die Vorschläge des Gutachtens führen zu einer Verringerung der sonder-pädagogischen Studienanteile

  • Der Vorschlag der Expertenkommission in den Lehrämtern Grundschule, Sekun-darstufe und berufliche Schulen Sonderpädagogik lediglich in Form eines Unter-richtsfaches zu studieren, führt zu einer zum Teil deutlichen Verringerung der sonderpädagogischen Studieninhalte. Dies gilt insbesondere im Vergleich mit dem Umfang des bisherigen Studiums einer ersten Fachrichtung. Der damit ein-hergehende Abbau sonderpädagogischer Fachlichkeit und Professionalität ist nicht akzeptabel.

Das Gutachten fordert die Neuordnung der sonderpädagogischen Fach-richtungen bzw. deren Kombinationsmöglichkeiten

  • Die derzeitige Aufteilung in eine erste und eine zweite sonderpädagogische Fach-richtung sichert eine hohe fachliche Expertise. Der Vorschlag der Kommission, die bisher eigenständigen Fachrichtungen Lernen, soziale und emotionale Ent-wicklung und Sprache in einem Schwerpunkt zusammenzufassen, führt zu einem massiven Qualitätsverlust. Jede dieser Fachrichtungen ist auf ausgewiesene Fachlichkeit zur Weiterentwicklung wirksamer Bildungsangebote angewiesen. Die eingeschränkten Kombinationsmöglichkeiten (so sind die drei genannten Schwerpunkte nicht mehr mit anderen Fachrichtungen kombinierbar) entsprechen nicht im Geringsten der Bedarfslage vor Ort.

Fazit
Nur der Erhalt und die Weiterentwicklung eines eigenständigen Studienganges Son-derpädagogik mit zwei sonderpädagogischen Fachrichtungen in unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten kann die hohe Qualität der Bildung von jungen Men-schen mit Behinderungen und Benachteiligungen sichern. Gerade in einer sich weiter entwickelnden inklusiven Bildungslandschaft sind ausgewiesene sonderpädagogi-sche fachliche Expertisen unerlässlich!
Von daher muss Ziel des Studiums das eigenständige Berufsbild ‚Lehramt Sonder-pädagogik‘ sein!

Unterzeichner:
230 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Fachtagung „Inklusion und Lehrerbildung“ am 20.7.2013 in Reutlingen
Berufsverband Deutscher Hörgeschädigtenpädagogen (BDH)
Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e.V. (dgs)
Förderkreis Reutlinger Lehrerbildung e.V.
Institut für Sonderpädagogik, Pädagogische Hochschule Heidelberg
Fakultät für Sonderpädagogik, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
LV für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg e.V. (LVKM)
LERNEN FÖRDERN, LV Ba-Wü zur Förderung von Menschen mit Lernbehinderungen e.V.
Staatliche Seminare für Didaktik und Lehrerbildung, Abteilung Sonderschulen
Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik e. V. (VBS)
Verband Sonderpädagogik e.V. (vds)

Die Datei steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.

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